Richard Wherlock
Richard Wherlock

Tewje oder The Fiddler on the Roof

Pick bloggt über Richard Wherlocks neues Ballett

Schon längst überfällig war Günter Picks Besuch beim Ballett Basel. Und die Reise hat sich gelohnt!

Basel, 17/12/2015

Endlich habe ich es geschafft mal wieder zu Richard Wherlock zu fahren und daran war mir eigentlich besonders gelegen, weil ich ihn schon aus seiner Tänzerzeit in Köln kenne und dann seine Stationen als Jungchoreograf mitverfolgte, ehe er Berlin bzw. die Komische Oper erobern sollte. Aber wie es so ist, immer kommt etwas dazwischen. Aber den Besuch in Berlin habe ich nicht vergessen. Richard war ja ein Newcomer, der es gewöhnt war, dass man ihn und seine Arbeit mochte und der Gegenwind, der ihm vor allem innerhalb des Hauses, das zu der Zeit noch fest in der Hand derer war, die schon zu DDR Zeiten viel zu sagen hatten, entgegenschlug, ließ ihn nicht kalt. Ich merkte schon gleich, als er mich in seinem Büro begrüßte, wie ihm die Atmosphäre des Hauses auf den Geist ging und als ich mich nach einem Dienstgespräch von ihm verabschiedete, sagte er im Brustton der Überzeugung: „Wenn das so weitergeht, bin ich gleich wieder weg.“ Ich glaube, wir sprachen Englisch, obwohl er schon damals sehr gut Deutsch konnte, während ich meinen kanadischen Akzent pflegen wollte und dachte: „he‘s got guts!“ Und bald danach kam eine Pressemeldung, er ginge nach Basel und die Baseler mochten ihn und so ist er noch heute dort und andernorts ein gern gesehener Gast.

Als ich davon hörte, dass er vorhat, aus dem Stoff „Fiddler on the Roof“ ein Tanzstück zu machen, dachte ich, na ob das mal gut geht? Wo findet man denn einen Tänzer der den Tewje, der am laufenden Band mit seinem Gott hadert, weil ihm die Arbeit so schwerfällt und er nicht mal einen Esel hat, sondern die Milch auch noch selbst mit dem Karren ziehen muss, um sie weg zu bringen, darstellen kann. Aber, und so viel sei gleich vorweggenommen, Richard Wherlock hat in seinem Ensemble Frank Fennar Pedersen, der so eindrücklich seine Beschwerde los lässt und gen Himmel blickt mit großen Gesten, ohne in ein Klischee zu verfallen, und der obendrein ein sehr guter Solist ist! Damit ist das Stück schon auf der sicheren Seite und es macht auch Sinn, dass es „Tewje“ heißt.

In einem sehr geschickten Bühnenbild von Bruce French, das eine fast abstrakte Landschaft aufmacht, aber Platz lässt für eine Projektionsfläche, auf der man zeigen kann, was sonst der Text sagt: dass Tewje von einem Pferd träumt oder was man sonst noch so braucht für eine so komplexe Story mit so vielen Spielorten. Mit wenigen Handgriffen der Tänzer werden Versatzstücke rein- und rausbefördert, die die Innenräume begrenzen, und so braucht man seine eigenen Eingebungen nicht besonders zu bemühen.

Die Produktion ist rundherum eine richtige Uraufführung, denn Richard hat nicht irgendwelche Musiken zusammengebastelt, sondern der Komponist Olivier Truan hat eine Partitur geliefert, die sich passend zum Stoff an Klezmer orientiert, diesen allerdings ein wenig weichgespült. Vor allem in den Szenen, die Konflikte betreffen, zum Beispiel mit den Töchtern, die nicht den Mann nehmen wollen, der Tewje passt, wäre Klezmer durchaus schriller und daher adäquater. Doch einige der schönsten inszenatorischen und choreografischen Szenen sind auch musikalisch zum Heulen schön. Zum Beispiel, wenn Tewje und seine alternde Frau, Ayako Nakano, nach dem ganzen Hochzeitsdurcheinander zueinander finden und in einem wunderschönen Liebesduett ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Und ich gehe mal davon aus, dass der liebe Gott auch sein Wohlgefallen daran hat.

Es ist erstaunlich, wie viel in dieser Produktion vom gesamten Ensemble getanzt wird (das ist doch aus der Mode?), und so gut. Und wenn ich tanzen sage, dann meine ich mit sämtlichen Beinen und vollem Einsatz, bis alle außer Atem sind. Es könnte einem fast schwindelig werden bei so viel guter Choreografie! Die Stimmung auf der Bühne und im Zuschauerraum war fast am Siedepunkt, nicht zuletzt auch wegen der Basler Sinfoniker unter Leitung von Alexander Mayer. Der Klezmer-Sound wurde noch verstärkt durch das Sextet Kolzimcha. Nur ich fühlte, dass etwas nicht stimmte, als nach dem Schlussvorhang ein Applaus gegen die Bühne brandete und Verbeugungen und Bravi kein Ende nehmen wollten. Aber es waren nicht die Künstler und da zähle ich die Musiker, die auch auf die Bühne kamen, natürlich mit, sondern ich merkte schon, dass ich es war, bei dem etwas nicht stimmte. Und siehe da, als ich in meinem Hotel ankam, es regnete in Strömen, wie es nur in Basel prasseln kann, fühlte ich mich krank.

Ich erzähle das, weil auch Rezensenten nur Menschen sind, die mal besser und mal weniger gut drauf sind... Und ein Unglück kommt meist nicht allein und so schloss sich mein Laptop meiner Virenschleuder an und war von da an unbrauchbar. Also entschuldige ich mich hier in aller Form bei Richard, dass ich ihm nicht meine Aufwartung machen konnte und wiederhole, dass ich trotz des späten Berichts sehr schätze, was in Basel über die Bühne ging und spare mir eine Umarmung des gesamten Basler Ensembles auf, bis zu meinem nächsten Besuch in der Schweiz.

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