Tanzen gegen den Tod
„Die Tänzerin von Auschwitz“ am Theater Nordhausen
„Schwanensee“ in Nordhausen als „Ballett einer Se(h)ensucht nach Schwanensee“ von Ivan Alboresi
Ivan Alboresi kommt aus Italien. Hier begann er seine Tänzerausbildung, die er in Stuttgart an der renommierten John-Cranko-Akademie abschloss. Schon als Tänzer begann er choreografisch zu arbeiten, entdeckte auch seine Liebe zum Musical, machte immer stärker einmal mit Choreografien für das Ballett ein anderes Mal mit Musicalinszenierungen auf sich aufmerksam. Für seinen Start in Nordhausen wählte er einen, wenn nicht gar den Klassiker, des Balletts überhaupt, „Schwanensee“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky.
Wie soll das gehen, ein kleines Theater, eine kleine Kompanie mit zwölf Tänzerinnen und Tänzern und dann so ein anspruchsvolles Werk? So die Fragen der Skeptiker im Vorfeld. Der Premierenabend räumte diese Skepsis aus. Das Publikum ist am Ende begeistert, nach viel Zwischenapplaus dann Begeisterungsstürme für die Kompanie, für das ganze Team. Das war natürlich nur möglich, weil es Ivan Alboresi gelungen ist, eine ganz eigene Sicht auf die Geschichte des Prinzen Siegfried zu vermitteln, der volljährig wird, der Feier entflieht, sich in eine weiße Schwanenprinzessin verliebt und ihr untreu wird, weil er den Reizen ihres schwarzen Gegenbildes erliegt. In klarer Konzentration auf die Geschichte, wenn auch in eigenwilligen Deutungen, liegt die Chance kleinerer Kompanien sich auch mit solchen Werken auseinanderzusetzen, denn die Anregungen gehen von der Musik aus, in Nordhausen live gespielt vom Loh Orchester Sondershausen unter der Leitung von Henning Ehlert. Und bei Ivan Alboresi heißt Tschaikowskys Werk dann auch „Ballett einer Se(h)ensucht nach Schwanensee“, was schon auf die Verbindung von Sehen und Sehnsucht hinweist.
Es beginnt mit jener Geburtstagsfeier. Siegfried, bei Alboresi, der offensichtlich gerne Sprachspiele betriebt, die sich aber nur dem Leser erschließen, hier als „siegFRIED“, im Kreise seiner Freunde, junge Leute von heute, leger aber gut gekleidet. Aber es treibt diesen von David Nigro sehr sympathisch getanzten jungen Mann im weißen Anzug hinaus. In einer durch spiegelnde Wände verwirrenden und zugleich verzaubernden Landschaft begegnet er eben jenem weißen Schwan namens Odette. Er verliebt sich in diese von Konstantina Chazistavrou getanzte junge Frau inmitten der Schwäne, männliche und weibliche, alle im kurzen Tutu, die bei manchen Haltungen der Arme und Hände an die des berühmten sterbenden Schwans von Michael Fokine erinnern, somit schwebt immer eine gewisse Morbidität, vor allem aber Verletzlichkeit mit. Einen Zauberer Rotbart, der mit seiner Tochter Odile, dem schwarzen Schwan, auftritt und Siegfried, also „siegFRIED“, in arge Verwirrung bringt, gibt es nicht, denn den Part dieses Rotbart übernimmt das schwarze Gegenbild des weißen „siegFRIED“, hier als „SIEGfried“ in schwarzem Anzug. Er bringt auch Odile ins Spiel, die Verwirrung der Gefühle samt tragischem Ausgang nimmt ihren unaufhaltsamen Lauf, „siegFRIED“ verrät - so Alboresi - sein Ideal, keine Chance für ihn und Odette.
Was dramaturgisch gesehen ein wenig gewollt wirkt, ist dafür tänzerisch gut anzusehen. Die Auseinandersetzungen zwischen „siegFRIED“ und „SIEGfried“ gehören zu den starken Momenten des Abends. Der schwarze „SIEGfried“ wird von András Dobi getanzt, kraftvoll, charakterstark, mit ungebrochener tänzerischer Präsenz auch bei hohen technischen Anforderungen. Und das gilt auch ohne Einschränkungen für Ayako Kikuchi als Odile. Wenn es dann zum Pas de trois kommt, dann überzeugt diese spezielle Sicht auf den Klassiker tänzerisch am stärksten, dazu auch optisch in den aus Realität und Fantasie ineinander übergehenden Räumen von Ronald Winter mit den Kostümen von Anna Schulz-Hentrich.
Also „Schwanensee“ konzentriert auf vier Protagonisten, in gut 90 Minuten, ohne Nationaltänze und Divertissements, auch kein Tanz der kleinen Schwäne, dennoch ein großer Abend.
Die neu zusammengesetzte Kompanie mit Giulia Maria Damiano, Gabriela Finardi, Martina Pedrini, Johanna Schnetz, Samuël Dorn, Joshua Raymond Lowe, Rosario Vestaglio und Andrea Schuler, der kurzfristig für einen erkrankten Kollegen tanzt, ist gut aufgestellt. Präsente Persönlichkeiten lassen stilistische Vielfalt, bei neoklassischer Grundierung auch Spitzentanz zu. In der aktuellen Kreation eher zeitgenössische Bezogenheit im Sinne der hier erzählten Geschichte. Auch Henning Ehlert, als neuer erster Kapellmeister am Pult des Loh-Orchesters Sondershausen, überzeugt mit Gespür für den Tanz, mit der Akustik des Hauses wird er sich anfreunden, nicht immer ist Lautstärke auch Intensität. In den sensiblen Passagen allerdings zeigt sich das Orchester mit seinen Instrumentalsolisten gut disponiert.
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