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„COW“ heißt die neue Produktion von Alexander Ekman für das Semperoper Ballett in Dresden
Der schwedische Choreograf Alexander Ekman bekam den Auftrag ein abendfüllendes Werk für das Semperoper Ballett zu kreieren. Zunächst dachte er wohl an einen dreiteiligen Abend, „3 by Ekman“. Aus „3 by Ekman“ wurde „COW“, ein Stück ohne tatsächliche Handlung, „rein“ soll es sein und das Publikum nur durch Szenen oder Situationen fesseln, anstatt mit einer Form von erzählter Geschichte, so Ekman selbst dazu, nicht ohne Seitenhieb auf die von ihm offenbar nicht zu ertragenden klassischen Handlungsballette, „die sind doch nicht wirklich up-to-date. Das ist nicht das, was wir heutzutage als ‚Entertainment’ bezeichnen, es fungiert mehr als Museum.“ Erstens, Vorsicht mit Verallgemeinerungen und zweitens, wie war das mit dem Hochmut und dem Fall?
Anstelle einer Geschichte also ein Motiv: Die Kuh, deshalb heißt das Stück „COW“, hat 11 Szenen und dauert ohne Pause knapp 90 Minuten. Die Kuh als Motiv für ein Ballett, das klingt schon ungewöhnlich, zumal eine Kuh ja nicht gerade als sehr bewegungsintensives Tier bekannt ist. Aber darum geht es wohl Alexander Ekman in seinem Stück mit Tanz in verschiedenen Formaten und Stilen nicht. Seine Idee scheint folgende zu sein: Die Kuh in ihrer so ruhigen Lebensart, in ihrem bescheidenen Dasein, die in manchen Ländern und Kulturen sogar als heiliges Wesen verehrt wird, ist für den 32jährigen als Newcomer gehandelten Schweden so etwas wie ein „Symbol des Seins“. In seiner Ballett-Performance möchte er menschliches Verhalten im Alltag in Beziehungen setzen zum Verhalten so liebenswerter Lebewesen wie den Kühen.
Die Frage, ob denn dann auch die Kühe tanzen, stellt sich von selbst. Die Antwort: Nein, die Kühe tanzen nicht. Es gibt da zwar etliche weiße, reizvoll anzusehende Plastiken, eine davon schwebt über der Szene, aber der Tanz, so er denn stattfindet, bleibt den Tänzerinnen und Tänzern vorbehalten. Immerhin der Tänzer Christian Bauch begibt sich gleich zu Beginn, und dann immer wieder mal, in die Haltung eines kuhähnlichen Tieres auf allen Vieren und er versucht auch diese sprichwörtliche Art des unschuldsvollen, großäugigen Blickes zu imitieren. Der Tänzer wird in einer Videozuspielung zur Stimme des Konzeptes, vielleicht besser des Regisseurs, und erklärt uns das noch mal mit der Kuh als einem mentalen Bild für eine weniger aufregende Emotionalität und mehr Ruhe, die unserem Leben fehlt.
Um das zu vermitteln, werden eine ganze Reihe von hektischen Szenen stilisierter Alltagserfahrungen mit mehr oder weniger direkten oder indirekten Alltagsassoziationen zur ganz und gar nicht hektischen Lebens- und Gesinnungsart des heiligen Tieres in Beziehung gesetzt. Da ist ein streitendes Paar am Tisch, es wird auf einer Plattform aus der Bühnenhöhe herunter- und wieder heraufgefahren. Geht es nach unten: Streit, geht es aufwärts: Harmonie. Ein Mann vergnügt sich als Dauerduscher, andere vervielfachen ihre Köpfe im Kopiergerät, seltsame Wesen fahren in einem Boot, ein Mann rennt immer wieder mit selbstmörderischer Wucht gegen eine Wand.
Dazu trägt man Kostüme und vor allem Kopfschmuck, schräg und absurd, die Hektik des Modewahns kriegt auch einen kräftigen Hieb. Von optischem Reiz ist die Szene, wenn die Plastiken der Kühe zu den Tanzenden geschoben, ziemlich schnell aber wieder weggeschoben, werden und auch leider nicht wieder kommen. Jetzt geht es wohl darum, die Kuh in sich zu entdecken und dieser Kuh in sich zu folgen, dabei geht es dann doch nicht so ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Das kann so weit führen, dass klappernd und stampfend auf hölzernen Hufen getanzt wird.
Dann tritt die ganze Kompanie in weiten, weißen, langen Röcken auf, steigert sich in kreisende Bewegungen wie tanzende Derwische. Dann wird es auch mal fast meditativ, ein Paar, einsam, paradiesisch, Adam und Eva vor dem Sündenfall, der hier wohl Hektik, Herdentrieb und letztlich Kommunikationsverlust im selbst gewählten, engen, mit roten Klebebändern abgegrenzten Raum bedeutet. Die Menschen gehen unter, sie fahren mit der ganzen Bühne herab, die Kuh aber, bzw. der Tänzer Christian Bauch als deren Wiedergänger, erhebt sich, geht ab im aufrechten Gang: Selig sind die Kühe, denn ihrer ist das Himmelreich.
Wer’s nicht kapiert, liest im Programmheft: „So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das Himmelreich“, also sprach Zarathustra bei Friedrich Nietzsche, nachdem er den hässlichsten Menschen der Welt verlassen hatte und sich anschickte, das Wiederkäuen zu lernen.
Man weiß mal wieder nicht so genau, ob es bei Alexander Ekman die choreografische Kompetenz ist oder die szenische Opulenz seiner selbst entworfenen Bühnenbilder, die ihn so erfolgreich machen, etwa als er für seine Osloer Schwanensee-Variante die Bühne unter Wasser setzte, und der Tanz dann auch regelrecht unterging. In Dresden nutzt er für seine bühnenwirksame Bergpredigt die technischen Möglichkeiten aus und kreiert viele schöne Bilder. Da fahren Bühnenelemente hoch und nieder, da gibt es einen faszinierenden Himmelszauber aus schwingenden Tüchern und auch die fantastischen Lichteffekte gehen auf sein Konto. In der Musik von Mikael Karlsson, die in enger Zusammenarbeit mit Alexander Ekman konzipiert wurde und in einer Einspielung des Bundesjugendorchesters erklingt, vernimmt man einerseits gelungene Passagen von kammermusikalischer Streicherintensität, oft aber wird die Musik eher pragmatisch verwendet, wenn etwa nach langer Abwesenheit des Klanges musikalische Akzente wie Signale wirken, die den Tänzern Wechsel vorgeben.
Ein Abend voller guter Absichten, das Konzept ist rasch, vielleicht zu rasch, erfasst. Bleibt der Tanz, da zeigen die Dresdner mal wieder was sie drauf haben, manche Szenen bersten vor Energie, andere sind von absurder Heiterkeit, andere sehr sensibel. Dass sich Ekman in diese Tänzer verliebt hat, wie er im Programmheft sagt, das glaubt man gerne, die Dresdner Tänzerinnen und Tänzer erwidern dieses Kompliment höchst professionell und dürften darüber erhaben sein, dass Liebe eben auch manchmal blind machen kann.
Weitere Aufführungen: 14., 16., 17. und 18. März, 4. April
www.semperoper.de
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