Wippen in Blau
Auftakt des Festivals tanz nrw 2023 in Mühlheim an der Ruhr
Pick bloggt über „Momentum“ von Rafaële Giovanola in Bonn
Eine überbordende Fantasie hat Rafaële da wieder im Theater im Ballsaal in Bonn vor uns mit Hilfe ihres Dramaturgen und Ehemanns Rainald Endraß in einer knappen Stunde, nach ihrem verspiegelten „Orfeo“, ausgebreitet. Wer der Ideengeber war, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich könnte mir vorstellen, dass Rafaële ihn gern manchmal an diesem verzauberten Ort hätte, wo drei offenbar verwunschene junge Männer zunächst bis zur Unkenntlichkeit, mal mit wenig Licht und dann in einem schwachen Lichtkegel, am Boden liegen, jeder für sich mal mehr mal weniger zuckt. Und nach und nach erst kurze Strecken, dann auch längere Wege durch das Zentrum des Raums robben.
Die Zuschauer ringsherum, manche stehend, manche wie ich am Boden sitzend auf Augenhöhe mit diesen Gestalten mit verhüllten Köpfen. Sie verharren jeder für sich am Platz, zittern leise mit den Muskeln, bewegen ihr Becken unter sich, und dann springen sie, als seien sie auf dem Sprung nach einem Konkurrenten oder dieser Meute Menschen um sie herum. Und in der Tat kommt es vor, dass einer von ihnen den Zuschauern gefährlich nahekommt; nicht auszumachen, ob wirklich aggressiv, dann aber abrupt wieder das Weite sucht, um sich von Weitem zu vergewissern, dass er in Sicherheit ist.
Es dauert zwar nicht bis Mitternacht und ein Zauberer ist auf dem Programmzettel auch nicht aufgeführt, und doch entledigen sich die drei „Kriechtiere“ Alvaro Esteban, Werner Nigg und Andi Xhuma ihres Kopfschleiers und machen Anstalten aus der Horizontale auch den Raum in der Vertikale zu erobern, was ihnen schließlich auch gelingt. Drei junge Männer, zwei davon mit beeindruckenden Vollbärten, von denen der etwas kleinere Spanier dem heutigen Männerideal (obwohl Bart ja wieder „in“ ist) am nächsten kommt. Sie tragen verschiedenfarbige hautenge Jeans mit passenden Tops, und nachdem der Soundtrack (Jörg Ritzenhoff) am Anfang lediglich dumpfe Schlagzeuggeräusche produziert, auf die reagiert wird, entwickeln sich im Lauf des Stücks mehr Rhythmen und schließlich begegnen sich die jungen Männer auch mal in tänzerisch sportlichen Situationen, die aber keine Fortentwicklung haben, auch nicht andeutungsweise. Kein Wunder, es erscheint keine Prinzessin, die einen „Amphibius“ küsst, auch findet keiner an einem anderen Gefallen. Aber ein Happy End hat es auch nicht gebraucht, die Zuschauer hatten einen ausgefüllten Abend und den drei herrlichen „Tanzmonstern“ war nichts geschenkt worden nach einer Stunde animalischer Kraftschau!
P.S.: Ich lese nie vorher eine Gebrauchsanweisung, egal ob technisch oder künstlerisch, sondern sehe zu, wie ich selbst damit fertig werde, ohne diese verklausulierten Texte zu verinnerlichen. Das war auch im Fall dieser Veranstaltung so und ich bin froh, dass ich meinen eigenen Weg gefunden habe zu dem Werk. Die Texte des Programmzettels habe ich versucht, mit dem Gesehenen in Verbindung zu bringen, leider ohne Erfolg. Es gefällt mir besser in meinem „Amphibiensee“.
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