Kein Anfang, viele Schlüsse
„Replay“ von Renan Martin zur Eröffnung des Festivals Dance Transit im LOFFT
Tschechischer Abend im fast ausverkauften Lofft in Leipzig. Am Samstag gab es dort im Rahmen der Dance-Transit-Rotation zwischen Prag/Leipzig/Dresden mit „La Loba“ eine Inszenierung der Choreografin Lenka Vagnerová zu erleben. Ein Stück, das sich einem alten, mythologischen Topos widmet, der seine Variablen in verschiedenen Kulturkreisen findet, aber vor allem im hispanischen Raum präsent ist. Um die „Wolfsfrau“ nämlich geht es, die etwa im katalanischen als „Lloba“ ebenso wandelt, wie als La Huesera (die Knochenfrau) in den Wüsten zwischen El Paso und Oaxaca. Als behaart, alt, fettleibig wird sie gern beschrieben. Ein Zwischenweltwesen, eine Schamanin, die nicht zuletzt auch durch die Zeiten wandert - und man weiß nicht genau, ob man es bedauern soll, dass nun die im Lofft zu erlebende Wolfsfrau-Variante, alles andere als „behaart, alt, fettleibig“ ist und dafür so aussieht, wie Tänzerinnen eben aussehen.
Freilich: Davon abgesehen macht auch Andrea Opavská in „La Loba“ das, was man Wolfsfrauen so nachsagt. Auf Streifzügen Knochen von Tieren - bevorzugt von Wölfen - sammeln. Und das so lange, bis das Skelett in Vollständigkeit verfügt werden kann. Auf das La Loba das tote Tier ins Leben zurück singen und tanzen kann.
In Vagnerovás Inszenierung begibt sich dafür Opavská in einen Dialog mit der Sängerin Jana Vébrová. Ein Dialog, der im Grunde ein innerer Monolog ist. Und der auf der Bühne für einige fraglos dichte, archaische, dunkel poetische Szenen sorgt. Wenn Vébrová singt, lockend und insistierend mit sirenenhafter Stimme - und bedrohlich ins wölfische Knurren fällt. Und Opavská davon angetrieben wird, zu einem Tanz, dem das Erdige, das „Primitive“ eingespeist ist und der überfließt in Bewegungen einer Trance, von der auch das immer wieder mal angedeutete Sufi-Kreisen um die eigene Achse kündet. Auf dass der Mittelpunkt sich ausdehne. Zu Gestaltwandel, zur animistischen Beschwörung. Zum magischen Kern von Sujet und Mythos.
„La Loba“ überzeugt mit Szenen, die gerade im simplen Effekt funktionieren. Faszinierend etwa, wenn an einer Stelle Opavská, sich immer wieder die Ohren zuhaltend, Vébrovás Stimme, dieses Locken und Drohen, zum Verstummen bringen will. Die dramatisch-rhythmische Struktur aus einem damit einhergehenden Laut-Still-Laut, spricht beispielhaft für das, was diese Inszenierung ist: eindringlich, suggestiv.
Was indes nicht heißt, dass im Gegenzug „La Loba“ frei ist von jener kunstgewerblichen Esoterik, die sich heute immer einzustellen scheint, wenn Künstler am mythologisierenden Sujet arbeiten. Und so gibt es auch hier Momente, in denen die Musik zeitgemäß gepimpter Folkloristik (Komposition: Ivan Archer), das Spiel mit den Knochen-Materialen, in dem Tanz und Gesang vom Effekt hin zur Affektiertheit wegkippen. In ästhetisierende Posen und inhaltliche Klischees, die vor allem davon erzählen: von unserer schier unüberbrückbaren Ferne zu dem, wonach sich auch „La Loba“ sehnt. Nach einer Tiefe und Authentizität jenseits des Illustrativen nämlich. Ob eine behaarte, alte Fettleibige auf der Bühne diesbezüglich geholfen hätte, ist fraglich. Obwohl...
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