Weiter Weg bis zum Grenzübergang
Das 4. Dance-Transit-Festival im Leipziger LOFFT
„Replay“ von Renan Martin zur Eröffnung des Festivals Dance Transit im LOFFT
Wenn das Publikum den Saal betritt, sitzt schon eine Frau in der ersten Reihe. Sie gehört nicht dazu, das ist offensichtlich. Sie wird bei voller Beleuchtung, zunächst in vorsichtig anmutenden, Haltungen diesen Raum erkunden. Ihr Antrieb könnten Erinnerungen sein, Erwartungen auch. Dann geht sie ab. Die Bühne ist leer, darüber einige Neonröhren, zwei gekreuzt. Unterm fahlen Licht dieses Kreuzes wird die Performance der Wiederholungen, was auch so zu verstehen ist, dass hier Erinnerungen und Situationen von Begegnungen wiederholt werden sollten und immer wieder zu Missverständnissen führten, zu Ende gehen. Das ist dann endgültig. Zuvor aber gab es immer wieder Situationen, die in den Stillstand führten, mit dem sich die Tänzerinnen und Tänzer Martina Hajdyla Lacová, Tereza Ondrová, Helena Araújo, Jaro Ondruš und Nathan Jardin nicht abfinden wollten.
Jetzt ist der Raum im Lichtdesign von Katarína Ďuricová leer. Dann wummert Sound. Vorspannmusik eines Films, Krimi, Science-Fiction, Serie à la Netflix, versinkt da nicht gerade die Titanic? Der Sound wird stärker. Der Tanz beginnt, nicht auf der Bühne, eher vielleicht in den Köpfen der Zuschauer. Dann kommen zwei Frauen und ein Mann, Konstellationen, Wechsel der Zuordnungen, Suchen, Finden, Verlieren. Die anderen kommen dazu, der Sound wird noch einmal stärker, die Sitze der Zuschauer vibrieren. Finden sich die Menschen auf der Bühne, gibt es Kontakte, gibt es sie nicht, ist Kommunikation möglich oder nicht, was machen Missverständnisse möglich und müssen wirklich alle Rätsel immer gelöst werden?
Immer ist das Publikum einbezogen, mit auf der Suche. Haben die Menschen auf der Bühne ein Repertoire geheimer Zeichen, können sie sie deuten, oder kommen sie aus den unterschiedlichen Erinnerungen, wenn sie sich kurz begegnen, kaum berühren oder ganz kurz Gesten übernehmen, um sie sogleich in eine andere Sprache der Sprachlosigkeit zu übersetzen? Inzwischen ist es still, kein Sound, kein Wummern, der Tanz gewinnt an Intensität. Mit Zahlen und einigen Begriffen, mit Worten, die man nicht immer versteht, entsteht ein neuer Ton der Vergeblichkeit. Und wer lacht da, worüber, was hat man übersehen, was meint man gesehen zu haben, um gleich darauf unsicher zu werden, wieweit die eigene Vorstellung von dem, was da auf der Bühne geschieht, auch dem entspricht, was die Akteure geschehen lassen.
Die Aktionen gewinnen noch an Dynamik, was treibt die Körper, die in einer seltsamen Unentschlossenheit agieren, was nicht ganz ohne Problem ist für die Konzentration im Publikum. Dann wird die Musik schön. Ein gefühliger Song von Céline Dion. Bruch. Der harte Netflix-Sound ist wieder da. Lassen sich die Performerinnen und Performer in ein Chaos treiben, versuchen sie dem zu entgehen, wenn sie dann doch, ganz nahe am Publikum, so etwas wie den Gleichklang der Bewegungen probieren und doch weit entfernt davon sind, auch nur den Anschein synchroner Variationen zu erreichen. Und immer wieder das Rätsel. Wer gibt welches Signal, wer nimmt es auf, wen erreicht es, bevor es in der Bewegung verebbt.
Was schon immer, mehr oder weniger direkt, diese Choreografie der Rätsel von Renan Martins durchzog, blitzt gegen Ende stärker auf, der leise Humor. Jetzt scheint es, als gäbe es für die Darsteller einen Kitzel, der sie in zuckende Bewegungen verfallen lässt, bis es im Sound knattert, Schüsse oder Kurzschlüsse, Black, total. Nicht mal mehr der Hauch des fahlen Zwielichtes unterm Neonkreuz.
Bleibt zu hoffen, dass es gelingt, diese Koproduktion wieder ins Programm zu nehmen. Der Rückblick, die Erinnerungen und das weitere Rätseln, an den Tagen danach, ist nämlich alles andere, als ein Blick zurück im Zorn.
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