Politische Visionen
Mario Schröder zeigt zum Abschied seine Version des Ballettklassikers „Giselle“ mit dem Leipziger Ballett
Stehende Ovationen für Mario Schröders Ballettabend „Lobgesang“ an der Oper Leipzig
Es scheint in der Tat einen Leipziger Publikumsnerv zu treffen: Nach seinem großartigen „Mozart Requiem“, hat jetzt Ballettdirektor und Chefchoreograf Mario Schröder mit „Lobgesang“ ein weiteres Mal die üppige inszenatorische Melange gewagt, hat erneut die große Maschinerie aus Chor und Solisten, aus Orchester, Tänzerinnen und Tänzern bedient. Zur Premiere am Samstag wurde das in der ausverkauften Oper mit stehenden Ovationen belohnt.
Und man muss auch deshalb an dieser Stelle erst einmal von der eigenen Skepsis gegenüber diesem Unterfangen reden. Von der Befürchtung, einer allzu selbstgewissen Selbstfeier des Humanistischen, einer pathetischen Freiheitspredigt und leerlaufenden Erbauungsoper beiwohnen zu müssen. Doch sie zerschlug sich dann doch recht schnell, die Furcht vor einem „Lobgesang“ als eskapistische Lobhudelei.
Ganz grundlegend gelingt Schröder nämlich erst einmal etwas Erstaunliches: Es ist eine fast seltsame Leichte, etwas wie Schwebendes, Zerbrechliches auch in seiner Choreografie. Was sowohl ob deren inhaltlicher Ausrichtung, wie auch ob der dafür verwendeten Musik alles andere als selbstverständlich ist.
Mendelssohn Bartholdys „Lobgesang“, 1840 in der Thomaskirche uraufgeführt, ist eine durchaus robust hymnisch kraftstrotzende Sinfoniekantate. Und wenn zu deren ersten Klängen (Musikalische Leitung: Christoph Gedschold) sich am Samstag das Opernballett in Bewegung setzt, ist das, als führe ein wunderbarer Wind in einen See.
Schröder hat dafür seine Kompanie aufgeteilt in Schwarz- und Weiß-Fronten, die ineinander wogen, sich durchfluten und teilen in einer Bewegung wie aus einer Hand, die leicht und zugleich in ihrem wellenartigen Auf und Ab ungeheuer suggestiv ist. Was sich noch einmal effektvoll kontrastierend verstärkt, wenn im Bühnenhintergrund der Chor und Jugendchor der Oper Leipzig dank einer so effizienten wie zugleich atmosphärischen Lichtdramaturgie (Licht: Michael Röger) aus dem Schwarz geschält wird. Als statisch mächtige Menschenfront, in Soutanen-strengen Gewändern (Bühne, Kostüme: Paul Zoller).
Und als solche bald jenen zweiten Musikteil intoniert, den Schröder in seine Inszenierung einbaute. Wie aus einem anderen Urgrund aufsteigend, dringt hier Francis Poulenc´ „Figure humaine“ ans Ohr. Beschwörender, tastender, lyrischer sowieso (Einstudierung Chor: Alessandro Zuppardo. Einstudierung Jugendchor: Sophie Bauer). Ein Werk nach acht Gedichten Paul Éluards, entstanden 1943 im von den Deutschen besetzten Frankreich.
Das Licht der Aufklärung, das Versprechen der Freiheit. Und das Beharren auf dieses Versprechen gerade dann, wenn es auf das brutalste gebrochen wird. Natürlich ist die Kombination Mendelssohn/Poulanc eine der konzeptuellen Programmatik. Aber eben - und das ist nicht nur typisch für Mario Schröder, sondern markiert zu gleichen Teilen Schwäche und Stärke seiner Arbeit - nicht als dramatische Fallhöhe, als Gift (oder auch Gegengift) des Negierens, oder Hinterfragens des Einen durch das Andere.
Vielmehr entspricht Schröders Verfügung dieser Kompositionen, ihre Durchdringung in abwechselnden Sätzen, der Bestärkung dieses einen Gedankens, der sich hier als Glaubensbekenntnis formuliert: Die Aufklärung, die Freiheit wird siegen, trotz allem und wieder und wieder. Schröders Choreografie glaubt daran ebenso fest, wie diese Musik es tut: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, Halleluja!“
Und so sind auch die in die Choreografie inszenierten Anfechtungen dieses Glaubens keine wirklichen. Zerfließen sie doch geradezu in tänzerischen Passagen schöner Verlorenheiten, die hier so manche Solis und Pas de deux bieten. Bleiben selbst die Opferritualen ähnelnden Hebungen und Tragungen des Einzelnen durch die Gruppe in einem Gleichmaß, dem alle Bitterkeit und Zweifel ausgetrieben sind. Und artikulieren sich die faszinierend dynamisch ins Bühnenlicht skulpturierenden Menschenballungen die Schröder baut, nicht als solche der Hybris, sondern der Hoffnung.
Gut möglich, dass manche das als Seichtigkeit wahrnehmen. Nur griffe das zu kurz. Es gibt nicht viele Choreografen, die derlei Glauben so unverstellt artikulieren. Und sich mithin an solche Werke wagen. Und bei allem, was an diesem „Lobgesang“ auf Distanz halten mag, das Fesselnde überwiegt. Um es mit einem Satz Paul Éluards zu sagen: „Es gibt eine andere Welt, aber sie ist in dieser.“ Schröders „Lobgesang“ erspürt in seinen besten Momenten genau diese andere Welt und hilft somit auch uns, sie zu entdecken.
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