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Ein Kommentar zum Tanzkongress 2019
Pick bloggt über den Tanzkongress, den Choreografenwettbewerb und seine Reisen durch die Republik
Ein Jahr beginnt meistens am 1. Januar und endet am 31. Dezember mit großem Geknalle, aber unser ‚Bewegtes Jahr’ soll schon Anfang September mit der internationalen tanzmesse nrw in Düsseldorf zu Ende sein. Das ist schade. Gäbe es nicht noch das eine oder andere Festival, das man mit auf die offizielle Liste des Tanzjahres hätte setzen können? Wie zum Beispiel den Internationalen Wettbewerb für Choreografie, der in der Woche vorm Tanzkongress in Hannover über die Bühne ging? Der Wettbewerb von der Ballettgesellschaft in Hannover, quasi als Konkurrenz zum Kölner Wettbewerb aus der Taufe gehoben, hat als alleiniger Erbe den Vater der Idee schon weit überlebt und sollte nicht so schlecht behandelt werden, vor allem auch, weil in den Jurys recht prominente Leute sitzen, nicht weniger erfolgreich, als die beim Tanzkongress. Hätte man diese beiden Veranstaltungen da nicht aneinander koppeln können? Das zeugt von Seiten der Initiatoren des Tanzjahres von zu wenig Achtung vor dieser nun schon 30jährigen verdienten Institution. Aber auch an die Veranstalter des Wettbewerbs sei die Frage erlaubt, warum sie sich dieser Initiative nicht angeschlossen haben und damit der offenen Einladung zum Tanzjahr 2016 nachgekommen sind?
Nun gibt es im Gegensatz zur damaligen Situation des Tanzes (als Köln noch eine ‚Tanzstadt’ war) heute in fast jeder Stadt mit einem festen Ensemble ‚Junge Choreografen-Abende’ und was noch wichtiger scheint, auch in anderen Städten (ohne Ensemble) nicht immer nur junge Choreografen, die es verdient hätten, vielleicht überregional beachtet zu werden. Könnte der Bund, der ja, wie wir natürlich alle wissen, die Kulturhoheit der Länder zu beachten hat, nicht in Anlehnung an das Vorbild des Theatertreffens der Schauspielensembles eine ähnliche Einrichtung schaffen für den Tanz in Deutschland? Da wir auch kürzere Stücke machen, könnten mehrere Ensembles sich einen Abend teilen, nur zehn Minuten, wie in der Gala „Update – Neues von Deutschen Tanzbühnen“ zum Abschluss des Tanzkongresses, ist denn doch ein bisschen wenig.
Aufhänger könnte zum Beispiel auch die Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins sein, der jedes Jahr eine andere Stadt beglückt. Der eine oder andere Intendant, der auf der Suche nach einem neuen Chef für die Tanzsparte (um die Inflation der Titel Ballettintendant, -direktor, oder -meister noch zu ergänzen) Ausschau hält, wäre vielleicht froh. Um das Maß vollzumachen, möchte ich einmal mehr, und ich werde es nicht aufgeben, darauf hinweisen, dass wir mit INTHEGA (Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen) eine Institution haben, die die Städte ohne eigene Ensembles mit Kultur versorgt. Aber man muss sich schon etwas auf deren Bedürfnisse einstellen, nur mit Avantgarde ist da kein Blumentopf zu gewinnen (bei mir übrigens auch nicht, ich wollte immer von meinem Beruf leben können...). Erik Gauthier ist ein Paradebeispiel am Theaterhaus Stuttgart für Stücke, die Experimentelles mit Greifbarem verbinden.
Frage: Warum lädt man zu einem solchen Tanzkongress nicht Vertreter dieser Organisation ein, um Wege zu finden, wie man den Tanz in deren Häuser bringt und sich anhört, was gebraucht wird? Und wie man sich vielleicht auf das Publikum einstellt? Ein gutes Beispiel ist Neuss, die Stadt gegenüber von Düsseldorf: Dort wurde schon vor zig Jahren mit relativ geringen Mitteln eine Reihe Tanz ins Abo genommen. Damals, vor sicher 25 Jahren, holte Dr. Rainer Wiertz das NDT, als es noch unbekannt und bezahlbar war. Aber heute würde ein Ensemble wie das aus Grenoble (CCN Grenoble / Rachid Ouramdane), das wir im Schauspielhaus in Hannover sahen, durchaus Erfolg haben, weil das Publikum, wie auch in Köln und Bonn nur noch zu Weihnachten nach Tschaikowsky fragt.
Ähnlich funktionieren aber auch die festen Ensembles aus den 12 Städten, die erwählt waren für die bestens vorbereitete Abschluss-Gala des Tanzkongresses in Zusammenarbeit mit der BBTK (Bundesdeutsche Ballett und Tanztheaterdirektoren Konferenz) mit dem, was gezeigt wurde. Es muss nicht immer „Romeo und Julia“ sein, um das viel gescholtene Tschaikowsky-Repertoire mal außen vor zu lassen. Auch die Abos in den kleineren Städten lassen sich inzwischen Anderes gefallen, im positiven Sinne des Wortes. Das zeigten die Beiträge aus Bielefeld von Simone Sandroni, aus Gießen von Rosana Hribar, aus Hagen von Ricardo Fernando, aus Trier von Susanne Linke, aus Hamburg das Bundesjugendballett mit einer Choreografie von Wubkje Kuindersma, aus Gelsenkirchen die Truppe von Bridget Breiner, aus München das Bayerische Staatsballett II mit einem Stück von Davide Bombana, das Staatsballett Hessen mit einem Beitrag von Tim Plegge und die richtig großen Ensembles wie das Ballett am Rhein und die Kompanien aus Leipzig, Stuttgart und Hannover mit Arbeiten von Martin Schläpfer, Mario Schröder, Marco Goecke und dem Gastgeber Jörg Mannes.
Nach zwei Jahren Pause habe ich wieder einmal bei der Ballettdirektorenkonferenz reingeschaut, in viele neue Gesichter gesehen und mich mit ihnen bekannt gemacht. Diese Institution ist uns auch nicht zugefallen, obwohl sie sehr wichtig ist, um die mehr oder weniger gemeinsamen Probleme zu diskutieren, um sie gegebenenfalls auch zu lösen. Die Initiative kam von Anne Neumann-Schultheis, die mit Hilfe der Politik das Büro für Tanz in NRW gegründet hat, das zu einem wichtigen Faktor im ‚Tanzland NRW’ wurde und inzwischen zu ähnlichen Gründungen in Baden-Württemberg und Bayern geführt hat, die der Freien Szene helfen und finanziell nicht mehr so schlecht dastehen, wie noch vor wenigen Jahren. Anne interessierte sich aber auch für die festen Häuser sowie Tournee-Kompanien wie „Hubbert Street Dance“, wo ich ihr mal begegnet bin und das inzwischen auch Kunde von NDT-Choreografien wurde.
Zurück zum Choreografen-Wettbewerb. Ich habe von der Vorrunde im 2. Teil fünf Beiträge gesehen, die für mich wenig mit Tanz und Theater zu tun hatten, vielmehr versuchten sie, sich möglichst artistisch zu verrenken. (Ich selbst war ein sehr beweglicher Tänzer – ‚very loose’, wie man in England sagt - aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen mein Bein hinter den Kopf zu bekommen, das wollte ich den Yoga-Treibenden überlassen.) Die Krone dieser Tanzentwicklung ist für mich das Werk „Slave“, das einen Kontorsionisten verlangt, wie man sie im GOP-Varieté allerdings freundlicher sehen kann. Aber „Slave“ erhielt den Preis der Kritiker. Auf Paul Dessau möchte ich aufmerksam machen, der etwas Besseres als einen Preis, nämlich den Auftrag für ein Stück für das Bundesjugendballett bekam. Dies als Ergänzung zu den Siegern, die bereits im tanznetz angekündigt wurden.
Und nun, damit es nicht endlos wird, zum Vergleich mein Besuch bei den „Open Windows IV - Jungen Choreografen“ in Osnabrück im Emma Theater. Ausverkauft, dass kein Strohhalm mehr hineinpasst. Wenn das keine Vorschusslorbeeren sind. Alles, was gezeigt wurde, hatte professionelles Niveau und wurde hervorragend getanzt. Manches weit hergeholt, auch ein Stück, das vom Ballett Hannover eingeladen war. In diesen Tagen habe ich Vieles gesehen, aber manchmal dachte ich mir, ich könnte auch in die nächstbeste Disco gehen, da tanzen manche auch interessant und es gibt auch da unerklärliche Zusammenhänge. Und genau das stört mich: Im Theater möchte ich verstehen, was wir zu sehen bekommen, nicht unausgegorene Versuche (die Jungen dürfen das mal). Wenn die Dramaturgie, wenn überhaupt erkennbar, hinten und vorn nicht stimmt, ist das zeitgenössisch, oder, was man nicht versteht, ist deshalb interessant?
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