„Nijinsky“ von John Neumeier. Tanz: Christopher Evans und Carsten Jung

„Nijinsky“ von John Neumeier. Tanz: Christopher Evans und Carsten Jung

Die vielen Facetten des Vaslav Nijinsky

Wiederaufnahme von „Nijiinsky“ beim Hamburg Ballett mit spannender zweiter und dritter Besetzung

Es ist eines von John Neumeiers besten und eindrucksvollsten Werken und wurde jetzt nach längerer Pause endlich wiederaufgenommen: „Nijinsky“.

Hamburg, 09/10/2016

Es ist eines von John Neumeiers besten und eindrucksvollsten Werken und wurde jetzt nach längerer Pause endlich wiederaufgenommen: „Nijinsky“, die große Hommage eines der wichtigsten Choreografen des neoklassischen Balletts an den bedeutenden Tänzer und Choreografen des frühen 20. Jahrhunderts. Schon als Kind war Neumeier von Nijinsky fasziniert, zeitlebens hat er sich mit ihm auseinandergesetzt; er besitzt die weltweit umfassendste Sammlung nicht nur, aber vor allem zu Nijinskys Nachlass.

Neumeiers Ballett ist eine zutiefst berührende Würdigung dieser vielschichtigen Persönlichkeit, die so tragisch im Wahn endete. Es beginnt dort, wo Nijinsky seinen letzten Auftritt hatte: Im Ballsaal des Suvretta-Hotels in St. Moritz, und dort endet es auch. Dazwischen entfaltet Neumeier eine, wie er selbst sagt, „Biografie der Seele, von Empfindungen und Zuständen“, in Verbindung mit Skizzen aus den großen Rollen Nijinskys: „Le Spectre de la Rose“, „L’après-midi d’un faun“, „Jeux“, „Scheherazade“, „Petruschka“ und der Harlekin in „Carnaval“. Die Zuschauer kommen Vaslav Nijinsky damit sehr nahe – Neumeier ermöglicht einen tiefen Blick in die Seele dieses Tänzers und revolutionären Choreografen und auch des Mannes Nijinsky, seine Verbindung mit Serge Diaghilev, dem Impresario der Ballets Russes, seine Ehe mit Romola, wegen der die Beziehung zu Diaghilev zerbricht.

Kreiert hat Neumeier die Titelpartie mit Jiri Bubenicek, seit vielen Jahren schon ist aber vor allem Alexandre Riabko (bei der Wiederaufnahme die erste Besetzung) mit ihr verwachsen, der zudem noch eine frappierende Ähnlichkeit mit dem jungen Nijinsky aufweist. Unvergessen Anna Polikarpova als Romola, Ivan Urban als Diaghilev (den er in der ersten Besetzung weiterhin tanzt) und Otto Bubenicek als Goldener Sklave und Faun. Wenn man die Vorstellungen mit diesen wunderbaren Künstlern in Erinnerung hat, ist die Latte sehr hoch gelegt, mit der sich die neuen Besetzungen messen lassen müssen.

Für die Wiederaufnahme hatte Neumeier eine zweite und dritte Besetzung aufgestellt – eine immense Herausforderung nicht nur für die Hauptrolle, sondern auch für zahlreiche weitere Partien. Ein weiteres Mal zeigte sich hier, in welcher Bestform das Hamburg Ballett aufgestellt ist. Aleix Martínez verleiht Nijinsky anfangs etwas Zögerliches, Unentschiedenes, steigert sich dann im zweiten Teil jedoch zu intensiver Verzweiflung. Für einen relativ kleinen Tänzer ist das eine große Aufgabe, die Aleix Martínez auch dank seiner exzellenten Technik bravourös meistert. Silvia Azzoni ist eine wunderbare Romola, hingebungsvoll verliebt vor allem in den Tänzerdarsteller Nijinsky in seinen verschiedenen Rollen, aber auch wild entschlossen treu in der Phase seiner Krankheit, was sich ganz besonders in dem darstellerisch besonders schwierigen „Schlitten-Pas de Deux“ zeigt, dem Silvia Azzoni eine ganz eigene, innige Prägung gibt.

Sascha Trusch als dritte Besetzung ist noch bühnenpräsenter als die Zweite. Vom ersten Moment an schlägt er den Zuschauer in den Bann und lässt ihn nicht mehr los bis zum tragischen Schluss, den er besonders furios gestaltet. Wie er sowohl die heiteren als auch die düsteren Seelentiefen Nijinskys auslotet, dessen choreografische Kreativität entfaltet, die gezeichnet ist von seiner inneren fast wuchtigen Stärke einerseits, aber auch von einer ungeheuren Zartheit, wie er diese innere Zerrissenheit in Ausdruck und Bewegung umsetzt – das ist darstellerisch wie tänzerisch ganz große Bühnenkunst. Carolina Aguero an seiner Seite ist anfangs eine eher scheue, zurückhaltende Romola, die sich dann später, als sich Nijinskys Wahnphasen abzeichnen, ergeben in das Unausweichliche fügt. Es ist spannend zu sehen, wie die individuellen Facetten jeder Tänzerin auch in der Figur Romola aufscheinen – die ohnehin eine schillernde Persönlichkeit war.

Bei den weiteren Rollendebuts sind vor allem Marc Jubete und Marcelino Libao als Goldener Sklave und Faun hervorzuheben – beide werfen sich mit Bravour in diese schwierigen Rollen, beide erliegen nicht der Versuchung, sie manieriert zu überzeichnen, sondern leben sie von innen heraus. Carsten Jung ist ein sehr männlicher, fordernder Serge Diaghilev, während Edvin Revazov den Impresario mit vornehmer Noblesse ausstattet, sich aber auch immer wieder nimmt, was er begehrt. Leeroy Boone, gerade von der Ballettschule in die Kompanie übernommen, ist ein verführerisch-jugendlicher Leonid Massine, Lucia Rios eine temperamentvolle Bronislava Nijinska, während Leslie Heylmann diesen Part eher als Frau im Hintergrund gestaltet – beide explodieren jedoch geradezu in der Kriegs-Sequenz mit der Anspielung auf „Sacre du Printemps“, in der sie ‚das Opfer’ darstellen. Christopher Evans debütiert als Geist der Rose in „Spectre de la Rose“ – schwerelos leichtfüßig und fein, Thomas Stuhrmann ist ein exzellenter Petruschka, während Konstantin Tselikov in diesem Part noch unter seinen Möglichkeiten agiert. Hélène Bouchet verleiht ihrer Tamara Karsavina die nötige Ballerinen-Allüre und beherrscht makellos die schwierige Technik des romantischen Tanzes. Auch Xue Lin verströmt in dieser Rolle etwas Ätherisches, das wie ein feiner Seidenschleier immer wieder durch den Abend weht.

Simon Hewett leitete das Philharmonische Staatsorchester sicher durch die Höhen und Tiefen der Musik von Dmitri Schostakowitsch und Nikolaj Rimskij-Korsakow.

Weitere Vorstellungen erst wieder am 25. und 27. Mai in der ersten Besetzung (Alexandre Riabko als Nijinsky), am 30. Mai in der zweiten (Aleix Martínez) und am 31. Mai in der dritten (Alexandre Trusch) sowie während der Ballett-Tage am 6. Juli (Besetzung noch unbekannt)
 

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