Ein Klassiker – aufs feinste herausgeputzt

„Don Quixote“ in der Nurejew-Fassung beim Hamburg Ballett

Meisterhaft von Manuel Legris gecoacht und einstudiert, dürfen die Tänzerinnen und Tänzer all ihr Können auspacken.

Hamburg, 11/12/2017

Man mag sich fragen, ob es noch zeitgemäß ist, einen schon recht betagten voluminösen Klassiker wie „Don Quixote“ in der Nurejew-Fassung von 1966 mit der opulenten Ausstattung, den kunstvollen Kostümen und dem antiquiert anmutenden Bühnenbild heute noch auf die Bühne zu bringen – zumal es sich um eine recht triviale Geschichte handelt. Wenn das Ergebnis allerdings so ausfällt wie jüngst in Hamburg, kann man nur sagen: Ja, es lohnt sich! Und ja, es ist zeitgemäß! Weil es den Tänzerinnen und Tänzern Gelegenheit gibt, sich eine andere Stilrichtung als die gewohnte anzueignen, und in den Hauptrollen all ihr Können auszupacken, dessen sie fähig sind. Er habe das Gefühl gehabt, dass er derzeit Tänzer in der Kompanie habe, „für die es genau jetzt das passende Stück in der Entwicklung ihrer Karriere“ sei, sagte Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier in einem im Programmheft abgedruckten Interview.

Tatsächlich: Selten sah man das gesamten Ensemble so frisch, so tanzfreudig und so leichtfüßig, die Solisten und Ersten Solisten so brillant, strahlend und bravourös. Das lag ganz offenbar an einem, der dieses Stück kennt wie kaum ein zweiter: Manuel Legris, früherer „Etoile“ der Pariser Oper und seit 2010 Direktor des Wiener Staatsballetts. Er hat alle Rollen in „Don Quixote“ getanzt und vor allem die männliche Hauptrolle des Basil noch mit Nurejew selbst einstudiert. Jetzt kam er für mehrere Wochen nach Hamburg, um sein Wissen an die Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Ballett weiterzugeben – eine Erfolgsgeschichte auf ganzer Linie.

„Don Quixote“ als Ballett erzählt weniger die Geschichte des tapferen Ritters und seines Dieners Sancho Pansa, als vielmehr die Liebesgeschichte zwischen dem flotten Barbier Basil und Kitri, der Tochter des Wirts Lorenzo. Aber natürlich will der Vater anders als die Tochter und diese lieber dem Adligen Gamache zur Frau geben, der ebenso reich wie hässlich ist. Und natürlich gibt es ein Happy End – nach diversen Irrungen und Wirrungen, gemixt mit einer verwunschenen Traumszene, in der Don Quixote sich ins Reich der Baumnymphen (Dryaden) phantasiert und dort auf Dulcinea trifft, die Heldin der Romane, die er so gerne liest. Was aber – logisch! – ein Traum bleibt.

Die Nurejew-Fassung gibt vor allem den männlichen Tänzern mehr Raum, vor allem die Rolle des Basil wurde um viele Elemente erweitert, die sein Können glanzvoll hervorheben. Deshalb ist nicht nur die Rolle der Kitri für jede Tänzerin der Traum jeder Ballerina, sondern ebenso die des Basil der eines jeden Tänzers – nicht nur, aber vor allem in den Pas de deux, für die „Don Quixote“ bekannt und berühmt ist. Sie gehören zum Standardrepertoire der Galas auf der ganzen Welt und muten mit ihren technischen Finessen gerne etwas zirzensisch an. Im Zusammenhang des Stücks allerdings und vor allem, wenn sie so spritzig und mit so viel Lust auf die Bühne gepfeffert werden wie jetzt beim Hamburg Ballett, sind sie einfach nur eines: Augenschmaus pur.

Das liegt in erster Linie an den beiden Protagonisten der Hauptrollen: Sascha Trusch und Madoka Sugai zeigen hier eine Glanzleistung der besonderen Art. Sie meistern nicht nur die vielen Tücken der Schrittfolgen und Sprünge mit ihren höchst anspruchsvollen technischen Herausforderungen atemberaubend bravourös und sicher, sondern sie hauchen ihren Figuren genau die Dosis Seele ein, die es braucht, damit es keine kalten Kunstfiguren sind, sondern echte Menschen. Da wird nichts überzuckert, aber auch nichts nur eiskalt zelebriert. Es ist einfach eine Freude, den beiden zuzusehen – nie muss man um die Balance oder Sprungkraft fürchten, und vor lauter Spaß an der Freud’ dreht Madoka Sugai bei den Fouettés im Grand Pas de deux des 3. Akts zwischendurch gerne auch mal zwei- und dreifach. Dass sie auch das Ätherisch-Schwerelose vollendet beherrscht, zeigt sie als Dulcinea in Don Quixotes Traumszene bei den Dryaden.

Carsten Jung ist ein wunderbar verschrobener Don Quixote, Nicolas Gläsmann ein herrlich tapsiger Sancho Pansa. Konstantin Tselikov als Gamache kostet sein komödiantisches Talent voll aus, und Dario Franconi ist ein dominant-unnachgiebiger Lorenzo, den Kitri dann aber doch noch erweichen kann. Patrizia Friza als Straßentänzerin bildet gemeinsam mit Lizhong Wang als Espada ein wunderbares spanisches Paar, mit vollendeter Haltung und Akkuratesse. Xue Lin und Florencia Chinellato tanzen die zwei Freundinnen Kitris ebenso charmant wie präzise, Aleix Martínez brilliert als Anführer der Zigeuner und Mayo Arii als Amor in der Traumszene versprüht glanzvolle Liebesfunken.

Garrett Keast am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters leitet die Musiker sicher durch die romantische Musik von Ludwig Minkus. Lediglich das Bühnenbild hätte man sich gerne etwas weniger schwer und klobig gewünscht – da vermisst man die souveräne Hand eines Jürgen Rose, kann aber dennoch die Qualität der damaligen Bühnenmalerei bestaunen (die gesamte Ausstattung wurde von der Wiener Staatsoper zur Verfügung gestellt).

Zum Schluss noch ein Wort zum Programmheft, das nicht nur wegen eines recht unvorteilhaften Titelmotivs so gar nicht die Leichtigkeit und Delikatesse spiegelt, mit dem dieses Stück in Hamburg daherkommt. Man fragt sich, ob man wirklich in der richtigen Vorstellung saß, werden doch unter der Überschrift „Fotos der Erstaufführung in Hamburg (2017)“ zumindest von den Hauptrollen fast nur Fotos der zweiten Besetzung gezeigt. Fake News jetzt auch beim Hamburg Ballett?

Weitere Vorstellungen in dieser Spielzeit am 12., 14., 15., 21. Dezember sowie am 13., 18., 21. Januar.

 

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