Was Menschen mit Krieg und Frieden anrichten

Yoshiko Wakis „Friedensanleitung für Jedermann“ beim Tanzfestival tanz-nrw 17 in Münster

Endlich befreit sich tanz-nrw, die Biennale der NRW-Tanzproduzenten, aus dem Korsett der Werbung für Tanz im Off und diskutiert in Münster ein brisantes Thema deutscher Tanzgeschichte.

Münster, 08/05/2017

Als Bremens progressiver Theaterintendant Kurt Hübner Ende der 1960er Jahre auch den Tanz in der norddeutschen Hansestadt erneuern wollte, berief er den sich aufmüpfig profilierenden jungen Österreicher Hans („Johann“) Kresnik. Der startete seine legendäre Bremer Ära 1970 mit „Kriegsanleitung für Jedermann“ (nach einem zynischen Pamphlet des schweizerischen Unteroffiziersverbandes von 1958). Mit der Politisierung choreografischer Dramaturgie begann Kresniks Choreografisches Theater. Im Rahmen von tanz-nrw 17 fokussierte sich Münsters Theater im Pumpenhaus an diesem Wochenende auf Kresniks „Ausweitung der Tanzzone.“ Gefördert vom „Tanzfonds Erbe“ fand am Tag nach der Uraufführung der Truppe „bodytalk“ von Yoshiko Waki mit deren „Friedensanleitung für Jedermann“ der erste Teil eines Symposiums zur Bedeutung von Kresniks Werk in der nunmehr 3. Generation politischen Tanztheaters in Deutschland statt. Weitere Aufführungen der „Friedensanleitung“ und der zweite Teil der Diskussion folgen vom 19.-21. Mai in Berlin.

Dieser Tanzabend gewinnt in Münster besonderes Gewicht im Lutherjahr – 500 Jahre nach Anschlag der 95 Thesen des Thüringer Mönchs gegen kirchlichen Machtmissbrauch, der die Spaltung der Christen in Katholiken und Protestanten auslöste und letztlich auch den 30-jährigen Krieg, dessen Friedensmodalitäten 1648 in Münster und Osnabrück verhandelt wurden. Zudem findet 2018 in der westfälischen Hauptstadt der Katholikentag mit dem Thema „Frieden suchen“ statt.

Die überragende Aktualität dieses Tanzabends (just in diesen Tagen der Entdeckung rechtsextremer Machenschaften und womöglicher terroristischer Tendenzen in der Bundeswehr) stößt jedem blauäugig friedliebenden Menschen bitter auf. Wakis „Friedensanleitung für Jedermann“ operiert mit ähnlich aggressiven Mitteln und Bildern wie Kresniks „Kriegsanleitung“. Liebe (zwischen zwei Männern) beginnt zärtlich oder (mit Pärchen) fröhlich im schmissigen Boogie-Rhythmus. Bedrängte Opfer werden aus den Fängen gewaltbereiter Täter befreit – und erleiden „zum Dank“ brutale Vergewaltigung und Folter. Deutlichster Bezugspunkt zwischen Kresniks und Wakis Stück ist ein Beil, mit dem ein Masochist sich eigene Hautpartien wie Wurstscheiben vom Arm schält und damit seine Opfer füttert. Immer greller, schriller, lauter geht's auf der Spielfläche zu. Gegen die gehämmerte Schlagzeug"kloppe" brüllen die drei Tänzerinnen und drei Tänzer unterschiedlichster Altersstufen und Nationen vergeblich mit „Ein bisschen Frieden!“ an. Fehlt nur noch, dass sie mit Beilen einer Schar Friedenstauben die Köpfe abhacken, wie Kresnik geradezu genüsslich vor seinem Besuch dieser „Friedensanleitung“ mutmaßte.

Fazit von Yoshiko Wakis „Antwort“ auf Johann Kresniks Anklage: Frieden schaffen ohne Waffen funktioniert nicht. Kriegsführung und Friedensbewegung operieren mit sehr ähnlichen Mitteln – und oft mit menschenverachtender Brutalität.

Wakis choreografische Sprache ist nicht neu. Da werden Granden des deutschen Tanztheaters wie Kresnik, Hoffmann und Bausch zitiert. Aber die Japanerin, die sich u.a. bei Kresnik und in Münster bei Birgitta Trommler als dynamische Tänzerin profilierte und jetzt für zwei Jahre mit ihrem „bodytalk“ Artist in Residence am Pumpenhaus ist, überzeugt durch die Auswahl der Bilder, die ihr Anliegen verdeutlichen: Darunter von Menschen getragene blattlose Bäume (in Bauschs letztem Stück trugen die Äste noch Laub) und das Beil aus Kresniks „Kriegsanleitung“.

Endlich befreit sich tanz-nrw, die Biennale der NRW-Tanzproduzenten, aus dem Korsett der Werbung für Tanz im Off und diskutiert in Münster ein brisantes Thema deutscher Tanzgeschichte als Kritik an menschlichem Verhalten. Dabei macht der einstige „Berserker“ deutschen Bühnentanzes auch klar, dass sich viele kritische Experimente und Kommentare zu seiner Zeit in der gesicherten Struktur von kleineren Stadttheatern etwa in Bremen, Wuppertal und Darmstadt entwickeln konnten, während dies heute fast nur noch in der freien Szene möglich sei.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern