Liebe ist weder männlich noch weiblich, sondern menschlich
Marguerite Donlon choreografiert wunderbar leicht und gendergerecht „Romeo und Julia“
Der Brasilianer Samir Calixto beschäftigte sich schon als junger Gesangsstudent in São Paulo mit Schuberts Kunstliedern. Seit 2004 in den Niederlanden ansässig, choreografierte der Südamerikaner als einer der Hauschoreografen des Korzo Theaters, dem Produktionshaus für den freien Tanz in Den Haag, 2014 eine „Winterreise Tetralogy“. Das Theater Osnabrück beauftragte ihn nun mit der Choreografie eines Tanzstücks zum Thema „Heimat“. Für dieses erste Engagement in Deutschland wählte Calixto den früheren der beiden „Müller“-Zyklen des Wiener Klassikers, „Die schöne Müllerin“, und entwarf auch die Ausstattung selbst. Die unglückliche Liebe des wandernden Gesellen endet mit dessen Selbstmord aus Liebeskummer, nachdem das Mädchen den Jäger aus der eigenen Heimat dem Mann aus der Fremde vorgezogen hat. Im letzten der zwanzig Lieder, „Des Baches Wiegenlied“, ist er dennoch angekommen – jedenfalls in der ewigen Heimat: „Wandrer, du müder, du bist zu Haus.“
Verständlich, dass der Rahmen von gesprochenem Pro- und Epilog in der Osnabrücker Aufführung gestrichen wurde, weisen sie das Werk doch als „Monodram“ um den „jungen blonden Müllersknecht“ aus und mit der Beschreibung von Ambiente und Stimmung in tiefste deutsche Romantik mit ihrer Naturliebe und Melancholie. Aber auch in den Liedern malt der Dichter Wilhelm Müller – wie in der „Winterreise“ – symbolträchtige Bilder um Liebesglück und -leid, Leben und Tod. Calixto erzählt weder die unglückliche Liebesgeschichte noch inszeniert er konkret einzelne Szenen. Vielmehr lässt er die Müllerin als reife Frau Rückschau halten auf die so unglücklich endende Episode in ihrer Jugend. Parallel dazu umtanzen die fünf Damen und fünf Herren der Dance Company Osnabrück sie barfuß und in weißer Kleidung wie eine Gruppe verspielter Teenager auf der Suche nach Liebeslust und Eigenständigkeit – oft federleicht wie vorbeihuschende Schmetterlinge oder auch ausgelassen beim Blinde-Kuh-Spielen mit grünen Augenbinden („Ich hab' das Grün so gern…“) – meist hastig und wie gehetzt von den Hunden des Jägers, sodass atemloses Keuchen („Kehr um!“) den Raum füllt. Schließlich steigt Nebel nach oben. Die zarten grünen Blattspitzen am uralten, gipsweißen Baum leuchten hoffnungsvoll auf.
Das intime emma-theater bietet den perfekten Raum für diese Premiere mit Kammermusik und Tanz. Entsprechend der Besetzung mit der amerikanischen Mezzosopranistin Gabriella Guilfoil, am Klavier begleitet von Florian Appel, stellt Calixto realistisch die junge Müllerin in den Mittelpunkt und fokussiert auf die Suche nach Individualität in der Jugend. Es stört deshalb nicht wirklich, dass von den an sich so wundervollen Versen Wilhelm Müllers kaum ein Wort zu verstehen ist. Klang und Bewegung mischen sich gut – nur in den Pausen zwischen den Gesängen ist das abgehetzte Keuchen der Tanzenden manchmal irritierend laut wie das Drehen des Mühlrads als Eingriff in die schöne Stille der Natur. Vielleicht mit Absicht.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments