„Kunstraub“ von Mauro de Candia. Tanz: Neven Del Canto, Ohad Fabrizio Caspi, Arthur Stashak

„Kunstraub“ von Mauro de Candia. Tanz: Neven Del Canto, Ohad Fabrizio Caspi, Arthur Stashak

Wir lassen's uns nicht nehmen

„Kunstraub“ von Mauro de Candia am Theater Osnabrück

Corona schafft es nicht, dem Theater die Kunst zu stehlen: Auf diesen einfachen Nenner lässt sich bringen, was Mauro de Candia sehr viel komplexer mit seinem neuen Stück „Kunstraub“ auf die Bühne des Theaters am Domhof bringt.

Osnabrück, 15/10/2020

Von Christine Adam

Der dreiteilige, 65 Minuten dauernde Abend spielt in einem Kunstmuseum, in dem trotz Aufsicht und streng überwachten Abstandsregeln zu den Bildern Anna Grahlmanns „Schuhplattler Diptychon“ entwendet wird. Am stärksten beeindruckt der erste Teil von „Kunstraub“, der auch von den Bewegungseinschränkungen erzählt, die uns die Corona-Pandemie aufzwingt - besonders auch der Tanzkunst mit ihrem engen Körperkontakt.

Fünf Personen halten sich im Ausstellungsraum auf: drei Besucher*innen, ein Wärter und möglicherweise ein Kurator an seinem Stehpult. Alle beziehen sich aufeinander, streben in Zeitlupe zueinander hin oder beugen sich zeitgleich von links nach rechts in die Schräge, wie festgetackert an ihrem Standplatz. Sie stecken wie in einem Korsett tabuisierter und daher erstickter Bewegungsimpulse.

Der Anblick schmerzt geradezu beim Zuschauen: Der Kurator hebt nicht mehr seine Füße beim Laufen, sondern rutscht und robbt auf den Fußsohlen voran. Später erkundet er, welche Bewegungsspielräume ihm das Gefängnis seines Stehpultgestänges lässt. Schließlich hält er mit einer Fußangel Kontakt zum Pult und lotet so akrobatisch wie ästhetisch schön so viel Raum aus wie nur möglich. Herzzerreißend – wie auch der Wächter mit seiner Taschenlampe, dessen Impuls zum Einschreiten kläglich blockiert ist oder die beiden Besucher, die in ihren Kleidungsstücken steckenbleiben. Jede der fünf Personen bewegt sich auf individuelle Weise, bis sich alle am Ende nur noch wie Fische zuckend auf dem Trockenen aufbäumen.

Der zweite Teil erzählt in der so vergnüglichen wie kunstvoll umgesetzten Videosequenz Jan van Triests vom maskierten Kunsträuber (dem Corona-Virus?). Dem auf seiner Flucht mit dem Tretroller die Figuren aus dem Gemälde entwischen. Auf dem Osnabrücker Herrenteichswall exerzieren nun die fünf Schuhplattler lustvoll ihr typisches Bewegungsrepertoire durch, einzeln oder in Gruppen - freie Bahn für eine spielerisch leichte choreografische Fantasie de Candias. 

Im dritten und rätselhaftesten Teil erobern sich die (Corona?) entsprungenen Schuhplattler (die fünf anderen Tänzer*innen der Dance Company) die Bühne zurück: schön skurril im Trachtenlook und stilisierten Lederhosen, aber tänzerisch längst nicht so einfallsreich und virtuos, wie etwa in de Candias anders skurrilem „Pachuco“ aus „Unter einem Himmel“.

Schuhplattler kommen bei ihrem Tanz zur Not ohne Körperkontakt zu ihren Mittänzer*innen aus. Ist das de Candias (Schreckens-)Vision für die Zukunft einer coronageprägten Tanzkunst? Bewegt sich die Menschheit zurück zu ihren Wurzeln, etwa zum kulturellen Brauchtum? Ein kindlich auf einer kleinen Holzeisenbahn durch den Raum watschelnder Schuhplattler könnte das nahelegen. Oder Hildegard Knefs wehmütiger 60er-Jahre-Song „Bal Paré“ von rosigeren Zeiten, den der Komponist Misagh Azimi in seine großartige, jederzeit spannende Komposition zum Tanzstück eingebaut hat. 

Die hochsensible Musik mit ihren oft minimalen Klangverschiebungen nutzt sicher nicht zufällig das unerlöst sirrende Geräusch von Neonröhren, die nicht mehr zünden können. Misagh Azimi macht kongenial hörbar, was de Candia und die Dance Company herausarbeiten: Corona mag uns einiges an Bewegungsfreiheit genommen haben, aber nicht die Kreativität, uns eben auf andere Weise auszudrücken. 
 

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