Sommer, Tanz, Berlin
34. Internationales Festival Tanz im August - Eine Bilanz
In seinem vorletzten Abschnitt präsentiert Tanz im August zwei Kompanien, deren Leiter Maßstäbe dafür gesetzt haben, wie man Hip-Hop von der Straße auf die Bühne holen, ihn durch andere Stile erweitern und mit inhaltlichen Anliegen verbinden kann. Mourad Merzouki, Jahrgang 1973 aus Lyon, hat sogar Fabeln von Lafontaine tanzen lassen und betritt nun Neuland. Für „Pixel“ von 2014 hat er sich mit zwei Digitalkünstlern verbündet und seinen Tanz in einen Raum aus verblüffenden visuellen Effekten gestellt. Entstanden ist ein ungemein poetisches Miteinander zweier Ausdrucksformen.
Zu sanftem Streicherklang ziehen die zehn famosen Tänzer der Compagnie Käfig auf. Schnee fällt in weißen Pixelpunkten, wird dichter, kann aufstöbern, von den Akteuren fortgewischt werden oder sie heftig umtreiben. Mal agieren sie hinter, mal vor der Leinwand. Mit leichter Hand verbindet Merzouki seine Bilder, reißt zwischenmenschliche Beziehungen an, ordnet Bodenartistik oder Impulswellen unaufdringlich und ohne marktschreierische Tricks seinem Theaterkonzept unter. Ein Rollschuhfahrer und das Spiel mit dem Cyr Wheel fügen sich ein; das Duett zwischen einer Kontorsionistin, der einzigen Frau in dieser Männerwelt, und einem Hip-Hopper gehört zu den Höhepunkten. Differenziertes Licht, etwa von zwei selbsttätigen Mini-Fahrrädern, hüllt den Tanz zauberisch ein. Erst zum tosenden Applaus nach angenehmen 60 Minuten darf die Crew als Zugabe zeigen, was sie sonst noch auf dem Kasten hat.
Traumwandeln Merzoukis Tänzer in virtuellen Welten, verankert der andere Großmeister des bühnengemäß aufbereiteten Hip-Hop seinen Tanz fest in der Realität. Bruno Beltrão, Jahrgang 1979 aus Niterói nahe Rio de Janeiro und am anderen Ende der Welt wirkend, ist in Berlin durch Gastspiele wohlbekannt. Mit dem 50-Minüter „INOAH“ ist er nun über sich hinausgewachsen. Den Zustand seiner von Korruptionsskandalen geschüttelten Heimat beschreibt er mit den zehn Hochleistungsvirtuosen der Grupo de Rua und verstrickt sie dazu nach fast stoischem Beginn in atemverschlagend aberwitzige Kaskaden gefederter, gerempelter, gesprungener, durch den Raum fliegender oder über den Boden hechtender Bewegungen, die bravourös Grenzen überschreiten und gleichsam das beklemmende Abbild einer Gesellschaft zwischen Attacke und Abwehr, Lähmung und Aufbegehren liefern. Über dem Lauf der Hip-Hop-Gladiatoren erlischt das Licht, nicht aber die Hoffnung.
Ein sozial hinterfüttertes Thema greift auch Constanza Macras auf. „Chatsworth“, benannt nach einem Township an der Ostküste von Südafrika in Durban, erzählt von indischen Einwanderern seit 1860 und wie sie während der Apartheid der 1950er Jahre in Ghettos isoliert wurden. Sie entstammen verschiedenen Landesteilen und Glaubensrichtungen, vom strenggläubigen Hindu bis zum Gay im Kampf um Anerkennung, haben unterschiedliche Hautfarbe. Das gebiert Konflikte. Einer will Moksha, Erlösung, erreichen und scheitert, andere streiten, welches Musical sie einstudieren wollen, über Mandela oder Ghandi. Auf Bollywood im Glitzerlook einigen sie sich. Vielschichtig ordnet Macras die turbulente Aktion, setzt Wort, Pantomime, Song, Tanz von Kathak bis Jazz ein, verteilt Seitenhiebe auf Gott und die Welt und tut das mit exzellenten Darsteller*innen aus dem Township so ironisch und unterhaltsam, dass man die satten 110 Minuten Spieldauer kaum merkt und manches Klischee vergisst.
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