Gefällig, unauffällig
Zweiteiliger Abend „Kontrapunkte“ am Theater Chemnitz
Von Peggy Fritzsche
Er habe sie flüchtig gekannt, die „Winterreise“ von Franz Schubert. Und er müsse erst einmal nachdenken, ob er zum romantischen Liederzyklus einen interessanten Zugang finden könne. Das sagte Robert Bondara, als er gefragt wurde, ob er auf Klassikerbasis eine Choreografie inszenieren wolle. Am 6. September hob sich im Chemnitzer Opernhaus nun der Vorhang zur Uraufführung von Bondaras „Winterreise“.
Die Bühne kahl, links und rechts ein Loch im Boden: in dem einen ein Klavier, im anderen nur Schwarz. Eine Frau schreitet über das Parkett, setzt sich ans Klavier. Und nun? Wird es eisig. Da schieben sich Frostschollen in den Blick. Knarzig und schneidend und eiskalt klirren sie ineinander. Irgendwie fahl, irgendwie garstig. Grau in Grau tappt ein Mann ins düstere Bild. Ein Wanderer. Er zieht durch die Landschaft. Draußen ist es schwarz-weiß und in seinem Inneren düster. Er wolle eine symbolische Reise durch den Verstand des Wanderers und den Kampf mit der inneren Dunkelheit widerspiegeln, so Bondara. Er wolle Winter- zu Gedankenlandschaften werden lassen und seelische Zustände und Emotionen wie Naturerscheinungen zeigen. Einsamkeit, Verlassenheit, Entfremdung. Den Wanderer macht er zum lyrischen Ich. Die Tänzer sind Multiplikatoren.
Wer heutzutage in eine „Winterreise“-Choreografie gehe und fracktragende Sänger mit Notenblättern vor sich erwarte, sei nicht ganz auf dem Laufenden! So hatte ein Kritiker nach der Aufführung gemeint. Befürchten darf man eine solche Inszenierung immer. Entwarnung in Chemnitz. Ballettdirektorin Sabrina Sadowska hatte wieder ihr Glückshändchen ausgestreckt und Bondara verpflichtet, der im diesjährigen Jahrbuch „tanz 2019“ als ein „Hoffnungsträger“ gelistet wird. Er gehöre zu den Tanzakteuren mit den besten Aussichten, steht da geschrieben. Den Bariton lässt er in Chemnitz nun nicht stocksteif am Flügel stehen. Er lässt ihn tanzen. Und singen, klar: mal liegend, mal kauernd, mal fallend, mal kullernd. Sieben Tänzer bittet Bondara in des Sängers Gesellschaft zur eisigen Winterreise. 24 Lieder lang tragen sie strotzende Kraft, sanfte Geschmeidigkeit, elektrisierende Dynamik, hingebungsvolle Körperbeherrschung ins Publikum. Er setzt mit den Damen Frauenbilder in den Zyklus, die Perfektion und Unerreichbarkeit vorgaukeln, und dann wieder Wärme und Glück versprechen. Die sechs Kompanie-Frauen sind Kontrapunkte. Sie sind stark, groß, überlegen weich und vor allem: warm. Sie erleuchten die trübe Winterreise, „die länger anhält, als der Anschlag der letzten Note nachschwingt.“ So hatte es sich Robert Bondara im Vorfeld ausgemalt. Und so kam es beim Premierenpublikum an. Applaus für das eiskalte Bühnenbild mit Video- und Lichtextra, Schmelzeffekt inklusive. Bravo für die Ensemble-Sensation. Und stehende Ovationen für den jungen Choreografen.
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