"Letzte Schritte" von Antje Pfundtner. Tanz: Petra Vigna, Annett Thiemann, Stanislav Novak

"Letzte Schritte" von Antje Pfundtner. Tanz: Petra Vigna, Annett Thiemann, Stanislav Novak

Das Geschenk der letzten Schritte

Die Videoinstallation „Letzte Schritte“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft und der Filmemacherin Barbara Lubich in Hamburg

Es ist etwas sehr Kostbares, fast Heiliges, wenn TänzerInnen am Ende ihrer Karriere ihre letzten Schritte auf der Bühne herschenken, damit sie im Film und Wort festgehalten werden.

Hamburg, 28/01/2019

Es war eine geniale Idee, die Antje Pfundtner in Gesellschaft 2016 im Rahmen ihrer Recherchen zu ihrem Stück „Ende“ entwickelte: Wie wäre es, die letzten Schritte von TänzerInnen auf der Bühne festzuhalten bzw. TänzerInnen, die ihre Bühnenkarriere schon länger hinter sich haben, danach zu fragen, wie sie diese letzten Schritte erlebt haben und sich noch einmal daran zu erinnern. Für die filmische Dokumentation konnte Antje Pfundtner die Filmemacherin Barbara Lubich gewinnen, die schon mehrfach Tanzfilme erstellt hat. Und so wurde am 24. Januar in der Kampnagelfabrik die Videoinstallation „Letzte Schritte“ aus der Taufe gehoben.

Drei große, am Boden platzierte Bildschirme zeigen Ausschnitte aus Interviews mit insgesamt neun TänzerInnen (der Ton wird über Kopfhörer eingespielt, so fühlt sich niemand gestört): Petra Vigna, Stanislav Novak und Annett Thiemann aus Berlin; Donnatella Capraro, Annamaria Campione und Claudia Fichera aus Catania (Sizilien); Heidrun Müller, Hanne Wandtke und Jan Kaboth aus Dresden. Es sind kurze Porträts mit schlaglichtartigen Statements. Auf die weiß gekalkte Backsteinmauer des Raumes werden groß Filmausschnitte projiziert, mal als Viererkacheln, mal als Einzelaufnahmen. Es sind die getanzten „letzten Schritte“ im kahlen Raum – in Deutschland ist es ein Loft, in Italien eine leere Bühne. An einer anderen Wand sind in deutlich kleinerem Format weitere Filmsequenzen zu sehen, sie zeigen die performte Übergabe dieser „letzten Schritte“ an Antje Pfundtner – ein intimer, oft schmerzlicher Moment, der sich in den Gesten und Gesichtern spiegelt. Während die Installation für das Publikum zugänglich ist, performt Antje Pfundtner selbst immer wieder vor den Projektionen.

Für eine Tänzerin oder einen Tänzer sind diese letzten Schritte etwas sehr Besonderes. Sie oder er gibt damit seine bisherige Identität auf und muss sich eine völlig neue schaffen. Es ist ein tiefer Bruch in der Biografie, eine meist schambesetzte Zäsur, denn plötzlich bist du nicht mehr wichtig, nicht mehr wertvoll, nicht mehr gewollt.

Es ist ungemein spannend, wie die einzelnen GesprächspartnerInnen diesen Bühnenabschied reflektieren. Für die einen ist er noch schmerzhaft nah, andere haben – da er bereits viele Jahre zurückliegt – mehr Abstand dazu und können das Ganze abgeklärter sehen. Und doch ist auch bei ihnen eine große Verwundbarkeit spürbar, das Gefühl eines tiefreichenden, schmerzlichen Verlustes. In diesen Filmausschnitten und Porträts jedoch sind sie mit ihrer Kunst noch einmal wahrnehmbar, erfährt ihr Können, ihre TänzerInnenidentität eine neue Wertschätzung. So kommen Ende und Anfang zusammen.

Es ist das große Verdienst von Antje Pfundtner und Barbara Lubich, dass sie diesem wichtigen Moment eine Plattform gegeben und ihn aus seinem Tabu befreit haben – und das auf eine ebenso diskrete wie respektvolle Art und Weise. Mit ihrer unprätentiösen Darstellung gelingt es ihnen, gerade diesen heiklen Moment zu einem kostbaren zu machen, weil sie ihn so wertschätzen. Und so bedauert man fast, dass manche Gesprächsausschnitte nur so kurz sind. Man hätte gerne noch mehr gewusst über die einzelnen Menschen, um die es da geht. Und damit ist sicher schon eines der Ziele erreicht, die Antje Pfundtner und Barbara Lubich mit diesem Projekt verfolgt haben: Man wird neugierig auf diese Menschen. Man behält sie in Erinnerung. Man will mehr wissen über sie. Es wäre wünschenswert, wenn sich diese Videoinstallation als eine Art „work in progress“ verstehen könnte – es gibt so viel mehr noch dazu zu sagen. Seit dem Ende des NDT III wird ohnehin eine eigene Kompanie älterer TänzerInnen schmerzlich vermisst.
 

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