„We call it a house“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft

„We call it a house“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft

Reich mir deine Hand

Online-Premiere von „We call it a house“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft

Wer bin ich im Zusammenhang mit anderen? In welcher Verbindung stehen wir? Gerade jetzt, wo wir uns nicht begegnen können? Fragen, denen Antje Pfundtner in ihrem neuen Stück tanzend und sprechend nachgeht.

Hamburg, 23/05/2021

Eine Art Sesselbahn auf Schienen am Rande der Bühne. Knallbunte Plastikschalensessel in den Primärfarben Rot, Blau und Gelb. Antje Pfundtner sitzt im blauen T-Shirt, mit dem Rücken zur Kamera, auf einem blauen Sessel und zählt vor sich hin. Bei 45 dreht sie sich um und sagt: „Da seid Ihr ja – endlich! Ich wart hier schon ne ganze Weile auf Euch und auch auf Dich – gibst Du mir Deine Hand?“ Von hinten kommt eine Männerhand. Die eine Hand ergreift die andere, und Antje sagt: „Ich glaub, Du solltest da sein. Ich vermisse Euch. Ich hab angefangen, Euch zu zählen, das ist so ein neuer Tick, den ich entwickelt hab. Und ich muss mich immer noch daran gewöhnen, dass Ihr mich seht, aber ich seh nur ... Dich. Und deshalb stell ich Dich jetzt mal vor ... – das ist Matze.“ Matze ist Mathias Hollaender, er ist der Kameramann und er ist es, der für die gesamte Zeit der Aufführung dieses Stückes dem Publikum seine Augen leiht. Er ist es, der bestimmt, was wir sehen, und wie wir es sehen – in der Totalen, als Close-up, als größeren oder kleineren Ausschnitt, von oben, von der Seite, von vorne …

Es ist eine besondere Erkenntnis in dieser neuesten Produktion von Antje Pfundtner in Gesellschaft, wie schmerzlich der eigene Blick auf eine Bühne vermisst wird. Nicht, weil Matze keine gute Kameraführung hätte – ganz im Gegenteil! Nein, aber gerade dieser sehr gekonnte Blick durch das Objektiv macht bewusst, dass es eben nur ein geliehenes Auge ist, durch das wir hier sehen. Dass gerade beim Tanz, dieser flüchtigen Kunst, die immer aus dem Augenblick heraus lebt, der eigene Blick, der sich selbst seinen Weg für die Details sucht und dabei doch immer das Ganze mit erfasst, so wichtig ist.

Auch inhaltlich trifft Antje Pfundter mit diesem Stück mitten ins Herz der Betrachter*innen – denn mit „We call it a house“ greift sie Fragen auf, die uns alle gerade jetzt bewegen, vor allem aber auf ihrer langjährigen Auseinandersetzung mit dem Thema basieren: Wem gehört die Bühne? Wer kommt dorthin? Wie teilt man sie sich? Was wird dort gemeinsam verhandelt (siehe dazu auch unser Interview mit Antje Pfundtner und der Dramaturgin Anne Kersting)?

Anstelle des bei Antje Pfundtner in die Stücke immer mit einbezogenen Publikums beschäftigen sich nun also stellvertretend die drei Tänzer*innen allein mit diesen Fragen: Neben Antje Pfundtner selbst sind das Juliana Oliveira und Matthew Rogers. Oft tragen sie Masken während ihrer Auftritte – und bei aller Übung mit diesen Aerosol-Bremsen, an die wir uns schon viel zu sehr gewöhnt haben, erscheint das doch bei so einer Performance umso befremdlicher. Wie wohltuend deshalb, wenn sie die Masken zwischendurch immer wieder abnehmen. Einmal mehr wird einem bewusst, wie wichtig es ist, das ganze Gesicht zu sehen – als Spiegel der Gefühle, der Persönlichkeit des Gegenübers, die nicht auf die Augen reduziert werden kann.

Wir werden Zeuge, wie die drei das Haus auf der Bühne errichten, eine kleine Enklave im großen Bühnenhaus, das mit Sofas bestückt ist, einem blauen Sessel, einem roten Tipi, einer blauen Strandmuschel, einem Schaukelstuhl. Ein knallgelber Kreis in der Mitte ist dann der Ausgangspunkt für die erste Tanzsequenz – und gerade bei diesem farbenfrohen Bild (Bühne: Irene Pätzug) ersehnt man sich den eigenen Blick auf das große Ganze.

Die einstündige Performance ist eine sowohl tänzerische wie sprachliche Auseinandersetzung über die Begegnung zwischen Menschen und das, was ihnen wichtig ist – zum Beispiel ein Versprechen. Für diese Frage wurden vier Gäste in das Bühnenhaus gebeten – und so entspinnt sich ein interessanter Dialog mit ihnen darüber, was jeweils ihr Versprechen war, wem sie es gegeben haben, ob sie es halten konnten. Das regt an, selbst darüber nachzudenken, wie es denn bei einem selbst so aussieht mit dem Versprechen – mit der Treue zum Gesagten, zum Denken und Handeln. Einer der tänzerisch stärksten Momente ist eine Sequenz mit klobigen Holzschuhen, der zu einer Art lautmalerischem Steptanz in knallroten Ganzkörpertrikots (Kostüme: Yvonne Marcour) mutiert, bei dem die (wiederum mit Maske Tanzenden) immer wieder zu Boden gehen, sich aneinanderklammern, sich verlieren und wiederfinden, um schließlich in dem kleinen Bühnenhaus innezuhalten, jede*r für sich, durch Wände getrennt. Aber die Isolation kann überwunden werden – mit den Händen. Es ist eine der berührendsten Szenen, wenn nach diesem lauten und oft aggressiven Holzschuh-Geklacker drei zärtliche Hände über die Holzabtrennungen greifen und den Kopf der/des dahinter Stehenden streicheln, der diese Hand nur spüren kann, nicht sehen. Und wenn Antje Pfundtner dann, ohne die Lippen zu bewegen, allein in Großaufnahme vor sich hin denkt: „... so lang schon geht das, so lang, so lang geht das schon ... stell dich doch, den Dingen ... stell dich doch hin, ok, gut, sehr gut ... und jetzt stell dich da hin ... und jetzt tanze“.

Es sind diese unzähligen, sorgfältigst durchdachten Details, die dieses Stück zu einem Kleinod machen in dieser distanzierten Zeit. Es vermittelt Nähe und Verständnis. Es unterstreicht, wie wichtig die Begegnung ist, der Kontakt, das Miteinander, Hand in Hand. Es zeigt auf, dass vieles verloren Geglaubte noch geht. Es zeigt aber auch, dass dieser Film, so brillant er gedreht wurde, eben nur ein Ersatz ist in einer Zeit, die uns in die Kontaktlosigkeit gezwungen hat. Möge es bald einmal möglich sein, dieses Stück live auf der Bühne zu sehen und zu erleben.

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