Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
„Song and Dance“ hieß schon das Motto der Ballettwerkstatt am 16. Dezember 2018, und in abgeänderter, erweiterter Version war dies auch das Thema der 45. Nijinsky-Gala, mit der das Ballett die Spielzeit 2018/19 abschloss. Wie immer präsentierte Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier einen opulenten Abend mit zahlreichen Gästen – gleichzeitig war es aber auch ein Abend der Abschiede von mehreren bedeutenden TänzerInnen. Drei Erste SolistInnen, zwei SolistInnen und vier Ensemblemitglieder gaben am vergangenen Sonntag ihre vorerst letzte Vorstellung auf den Brettern der Hamburgischen Staatsoper: Carolina Aguero, Dario Franconi, Carsten Jung und Karen Azatyan beendeten ihre aktive Laufbahn, Mayo Arii, Sara Coffield, Sara Ezzell, Graeme Fuhrman und Pascal Schmidt wenden sich anderen Engagements zu.
Vor allem bei dem 44-jährigen Carsten Jung war es ein hochemotionaler und tränenreicher Abschied unter großer Anteilnahme des Publikums – er beendet nach 25 Jahren seine Karriere beim Hamburg Ballett. In fast allen Werken Neumeiers hat er irgendwann einmal mitgewirkt, herausragend waren sein Mann im Schatten in „Illusionen – wie Schwanensee“, Walter Gropius in „Purgatorio“, Eugen Onegin und ein Bär/Prinz N. in „Tatjana“, Potiphar in „Josephs Legende“, Carsten in „Préludes CV“, ein Hirte im „Weihnachtsoratorium I-VI“, Tybalt in „Romeo und Julia“, Der Arzt und Serge Diaghilew in „Nijinsky“. Unvergesslich aber bleibt vor allem sein Liliom im gleichnamigen Ballett nach dem Theaterstück von Ferenc Molnár, für den er 2012 den „Benois de la Danse“ erhielt und von der Fachzeitschrift „tanz“ als Tänzer des Jahres 2012 ausgezeichnet wurde. Bei der Gala tanzte er noch ein letztes Mal zusammen mit Alina Cojocaru tief bewegend den ersten großen Pas de Deux, in dem Liliom und Julie ihre Liebe füreinander entdecken. Auch mit seiner letzten Kreation, Alexej Alexandrowitsch Karenin in „Anna Karenina“, hat Carsten Jung Maßstäbe gesetzt. Er wird fehlen.
Mit der ebenfalls 44-jährigen Carolina Aguero verabschiedete sich eine großartige Erste Solistin von ihrer aktiven Tänzerinnen-Laufbahn. Sie gehörte seit 13 Jahren dem Hamburg Ballett an und brillierte als Tamara Karsavina in „Le Pavillon d’Armide“, Manon und Olympia (leider nie als Marguerite) in „Die Kameliendame“, Stiefmutter in „A Cinderella Story“, Marie in „Nussknacker“, Engel im „Weihnachtsoratorium“, Sylvia in „Sylvia“, Stella in „Endstation Sehnsucht“, Prinzessin Natalia in „Illusionen – wie Schwanensee“ (bei der Gala zeigte sie zusammen mit Sasha Trusch den ersten großen Pas de Deux zwischen dem König und Natalia), Helena in „Sommernachtstraum“, Giselle in „Giselle“, vor allem aber in den vergangenen Jahren als Romola in „Nijinsky“, die sie auch am 21. Juni in Hamburg noch einmal überzeugend darstellte (über die DVD-Aufzeichnung des Balletts bleibt uns ihre tief empfundene Interpretation erhalten). Gerade in den vergangenen Jahren hat Carolina Aguero sich zu einer großartigen Darstellerin entwickelt, die auf bescheidene, aber intensive Art eine Rolle mit Leben zu erfüllen wusste. Auch sie werden wir vermissen.
Und noch ein Erster Solist verlässt das Hamburg Ballett: Der 32-jährige Karen Azatyan beendet aufgrund einer Verletzung seine Tänzerkarriere. Seit fünf Jahren war er hier engagiert, zuerst als Solist, seit 2016 als Erster Solist. Er verabschiedete sich mit seiner wichtigsten Rolle, die er hier in Hamburg kreiert und getanzt hat: Gabriele d’Annunzio in „Duse“. Alessandra Ferri war eigens nach Hamburg gekommen, um mit ihm zusammen noch einmal auf der Bühne zu stehen. Ein großer Moment an diesem Abend.
Beispiele für das Motto „Song and Dance“ gab es bei der Gala dann in Hülle und Fülle: Da waren zum einen vier Lieder aus „Bernstein Dances“, oder auch ein Ausschnitt aus „Shall We Dance“, in dem Emilie Mazon, Lucia Rios, Yun-Su Park, Patricia Friza und Mayo Arii (die von ihren Kolleginnen zum Abschied mit Blumen überrascht wurde) die verschiedenen Charakter-Dimensionen der „Broadway-Pawlowa“ Marilyn Miller ausloteten. Nicht fehlen durfte das Solo des Lewin aus „Anna Karenina“ zu „Moonshadow“ von Cat Stevens – hier gab der vom National Ballet of Canada neu als Solist nach Hamburg engagierte Felix Paquet seinen Einstand. Mit dem Solo des Petrus aus der Matthäus-Passion verabschiedete sich Dario Franconi vom Hamburger Publikum – und legte noch einmal alles, wessen er fähig ist, in diesen letzten Auftritt. Dafür wurde er zu Recht umjubelt.
Als Vorgeschmack auf die nächste Spielzeit präsentierte Neumeier noch – abweichend vom Thema des Abends – den Hochzeitsmarsch aus „Sommernachtstraum“, in dem Hélène Bouchet und Jacopo Belussi als Hippolyta und Theseus brillierten.
Das Bundesjugendballett zeigte mit „Simple Gifts“ drei Lieder von Aaron Copland. Qui Yunting und Wu Sicong vom National Ballet of China zelebrierten mit „Permanent Yesterday“ ein ebenso schlichtes wie beeindruckendes Werk des jungen Chinesen Fei Bo zu buddhistischen Gesängen und Klangschalen – ein regelrecht meditativer Moment an diesem Abend. Zwei Vertreter der diesjährigen Gastspiel-Kompanie, dem Het Nationale Ballet der Niederlande, tanzten einen von der jungen Wubkje Kuindersma choreografierten Pas de deux für zwei Männer (Jozef Varga und Giovanni Adriano Princic) zu Live-Musik von Michael Benjamin, der sich selbst auf der Gitarre und am Klavier begleitete.
Absoluter Höhepunkt kurz vor Schluss der Gala war jedoch Neumeiers „Opus 100 – For Maurice“, dieses grandiose Geburtstagsgeschenk für Maurice Béjart, das Alexandre Riabko und Ivan Urban auf so einmalige Art zu tanzen verstehen. Das Publikum war komplett aus dem Häuschen – zu Recht.
Neumeiers „Um Mitternacht“, diese zweite Version von Mahlers „Rückert-Liedern“, war dagegen einer der schwächeren Momente des Abends – da kommt die Choreografie einfach nicht in Fluss, müssen die TänzerInnen viel zu statisch agieren und finden keine gute Interaktion – was nicht an ihnen liegt. Auch Cao Shici und Sun Ruichen vom National Ballet of China fanden bei „Der Einsame im Herbst“ aus Mahlers „Lied von der Erde“ keinen Zugang zu Musik und Choreografie – da wurden die Schritte sicher korrekt gesetzt, aber eben nicht getanzt. Schwach war auch der Auftritt von Christopher Evans im Adagietto aus Mahlers Fünfter Sinfonie, der der wunderbaren Svetlana Lunkina vom National Ballet of Canada leider kein adäquater Partner war. Das machte dann jedoch die gesamte Kompanie mit dem fünften Satz „Rondo Finale“ aus eben dieser Sinfonie mit großer Tanzfreude wieder wett – und verabschiedete sich damit in die Sommerpause. Wie immer verkündete John Neumeier zum Schluss dem Ensemble die Beförderungen: Hoch verdient avancierten Jacopo Belussi und Madoka Sugai zu Ersten SolistInnen, Florian Pohl und Lizhong Wang wurden zu Solisten ernannt.
Benjamin Appl war ein zuverlässiger und ebenso stimmgewaltiger wie fein intonierender Bariton für die unterschiedlichen Liedbeispiele – bei „Bernstein Dances“ ist er sogar kurzfristig für den ursprünglich vorgesehenen Sänger eingesprungen. Simon Hewett leitete das Philharmonische Staatsorchester mit sicherer Hand durch die vielen verschiedenen Kompositionen.
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