Das Bremerhavener Publikum liebt sein Ballett
„Petruschka“/ „Der Feuervogel“ von Sergei Vanaev am Stadttheater Bremerhaven
„Irgendwo unterwegs, das wusste ich, gab es Mädchen, Visionen, alles; irgendwo auf dem Weg würde mir die Perle überreicht werden.“ - aus Jack Kerouac: „Unterwegs“
Was die aktuelle Premiere des Bremerhavener Balletts mit dem berühmten Roman und Manifest der Beat-Generation „On the Road“ verbindet, wird auf den ersten Blick nicht klar. Auch im Programmheft des Tanzabends, der vergangenes Wochenende im Großen Haus des Bremerhavener Stadttheaters Premiere feierte, sucht man einen Hinweis auf diese Thematik vergebens. Was hat dieser Tanzabend zu tun mit dem Traum vom Unterwegssein, auf der Suche nach einem neuen, unkonventionellen Lebensgefühl, auf der Suche nach Freiheit, Entgrenzung, Tabulosigkeit und letztlich nach sich selbst? Eine Spurensuche.
Sergei Vanaev, seit 2004 in Bremerhaven Chefchoreograf und Ballettmeister, bevorzugte in der Vergangenheit eher die großen Themen: Ballette wie „Giselle“, „Schwanensee“, „Romeo und Julia“ fanden in einer für die kleine Kompanie adaptierten Form und thematisch aktualisiert ihre Aufführung. Später kamen Klassiker-Hits wie Carmina Burana, Sacre und Mozart-Requiem dazu, allesamt musikalisch herausfordernd und doch gleichzeitig so etwas wie ein Garant für eine erfolgreiche Aufführung. „Ein Sommernachtstraum“ war dann auch die erste Premiere dieser Saison.
Ganz anders nun das aktuelle Programm: unter dem Titel „On the Road“ wird ein zweiteiliger Abend präsentiert, den sich der Ballettchef mit einem Nachwuchschoreografen, dem Israeli Nadav Zelner als Gast teilt. Zelner war bislang mit einigen herausragenden Performances bei der alljährlichen Ballettgala aufgefallen und erarbeitet nun erstmalig mit der gesamten Kompanie eine Neukreation.
Der Abend beginnt mit Vanaevs Choreographie „Shape“: vor überdimensionalen Videoprojektionen, die teilweise die Szenen atmosphärisch ergänzen, bisweilen aber auch den Tanzeindruck etwas stören, findet eine Reihe von Soli, Duos und Gruppensequenzen statt. Immer sehr temporeich, eine Mischung aus Ballett und Zeitgenössischem Tanz mit vielen akrobatischen Elementen, in denen die Tänzer sich immer wieder auf den Boden werfen, um sich nach einigen Umdrehungen athletisch und mit durchgebogenem Rücken wieder hochzuschrauben. Die TänzerInnen zeigen sich vielseitig trainiert und den durchaus sportlichen Anforderungen der Choreografie mehr als nur gewachsen. Doch wo bleibt die im Programmheft angekündigte emotionale Botschaft, die der Choreograf in die Tanzform einfließen lassen möchte? Atmosphäre entsteht am ehesten in den Soli und Duetten, herausragend hier der britische Tänzer Edward Hookham, der mit einem lyrischen Solo und späteren Duo mit Lidia Melnikova zu Tangomusik beeindruckt - von diesem Solo hätte man gerne noch mehr gesehen! Auch gelingen dem Choreografen am Ende des etwa 45-minütigen Stückes sehr poetische, gar innige Momente bei einem Männerduett - wieder Edward Hookham, diesmal zusammen mit Ilario Frigione. Ist dieses Männerduett vielleicht eine Anspielung auf die Männerfreundschaften der Beatniks? Die atmosphärisch dichte, lyrische Musik des Duos Ólafur Arnalds & Alice Sara Ott aus dem gemeinsamen „Chopin-Projekt“ jedenfalls beschließt die musikalische Mischung der ersten Hälfte dieses Abends (Barockklänge, Tango und zeitgenössische Sounds) auf schönste Weise!
Im zweiten, sehr kurzen, aber hochenergetischen Teil folgt die Choreografie „Queen“ des Nachwuchschoreografen Nadav Zelner, der zuvor in der Kibbutz Dance Company und bei Sharon Eyal tanzte und mehr und mehr mit eigenen Clips und Kurzchoreografien auf sich aufmerksam machte. Eine Gruppe von TänzerInnen in blauschimmernden Ganzanzügen, etwas zwischen Trikot und Frack, sehr stylisch und die Gesichter zur clownesken Maske weiß geschminkt, erobern mit skurrilen, verrückten Bewegungen den Bühnenraum. Die Choreografie verblüfft mit unkonventionellen, ja animalischen Elementen und Gesichtern, die immer wieder egozentrisch und eitel verzogen werden. In einem enormen Tempo mutieren kleine, rhythmische Bewegungseinheiten zu einem faszinierenden Gruppen-Groove. Die Idee: der Mensch und seine Eitelkeiten, ein Spiel mit der Selbstverliebtheit, die bei Zelner bis ins Fratzenhafte verzerrt wird. Anregungen fand der Choreograf auch im „Voguing“, das sich an den Bewegungen der Models auf dem Laufsteg orientiert.
Die TänzerInnen stürzen sich mutig auch in dieses Abenteuer und ernten am Ende des Abends jubelnden Applaus! Allerdings überzeugt das choreografische Konzept nicht durchgängig, die einladenden Möglichkeiten des Bühnenbilds (mehrere Spiegel sind im Hintergrund verschachtelt aufgebaut) werden nicht konsequent genutzt. Doch insgesamt ist es eine überaus originelle Choreografie, in der die elektronischen Beats der Musik in die elektrisierten Körper der TänzerInnen fahren. Viel Applaus und Bravorufe vom jüngeren Teil des Publikums - bei den Älteren bleibt vielleicht die Frage, wohin sich das Bremerhavener Ballett entwickelt. Von einer sehr professionellen, aber sich bisweilen leerlaufenden Form bei Sergei Vanaev bis zum attraktiven Spiel mit Egozentrismus bei Nadav Zelner: Unterwegs - wohin, Bremerhaven?
Weitere Termine:
15.03.2019 um 19:30 Uhr
17.03.2019 um 15:00 Uhr
27.03.2019 um 19:30 Uhr
30.03.2019 um 19:30 Uhr
13.04.2019 um 19:30 Uhr
18.04.2019 um 19:30 Uhr
18.05.2019 um 19:30 Uhr
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