„Le sacre du printemps“ von Xavier Le Roy

„Le sacre du printemps“ von Xavier Le Roy

Hauptdarsteller: Dirigent

Xavier Le Roys „Le sacre du printemps (2018)“ als Deutschlandpremiere bei PACT Zollverein

Das Publikum als Orchester, drei PerformerInnen als DirigentInnen: Le Roys Neufassung seines Solos lässt Töne sehen und Bewegung hören.

Essen, 24/03/2019

Angefangen hatte alles 2007, als Xavier Le Roy eine Filmaufnahme von Sir Simon Rattle sah, wie dieser „Le sacre du printemps“ von Igor Stravinsky dirigierte. Dass dieser dynamische Dirigent für ChoreografInnen einiges an Inspiration zu bieten hat, ist leicht nachvollziehbar; so auch für Xavier Le Roy. Sich einordnend in die lange und namhafte Riege der Sacre-ChoreografInnen, die von Vaslav Nijinsky über Maurice Béjart und Pina Bausch hin zu Marie Chouinard reicht, machte Le Roy in seinem Solo dann aber doch alles anders als man es von diesem Schlüsselwerk der Tanzgeschichte erwartete: das Publikum wurde zum Orchester, der Performer zum Dirigenten - und das war es auch schon. Und doch steckte in diesem simplen Setting eine ganze Menge an Fragen zur Repräsentation von Musik und Körper, zum Verhältnis von Hören und Sehen, zu Choreografie, Werktreue und ritualisiertem Kunstkonsum.

Elf Jahre später, 2018, bringt Le Roy eine neue Fassung seines Werks heraus. Uraufgeführt auf der Biennale di Venezia und nun als deutsche Erstaufführung bei PACT Zollverein in Essen zu sehen, bleibt die Grundidee bestehen: auch hier sind die Lautsprecher entsprechend der Orchesterordnung unter den Zuschauerplätzen verteilt, das Publikum wird zu Flöte, Kontrabass oder Erster Geige. Doch diesmal dirigieren gleich drei in rote T-Shirts und schwarze Hosen gekleidete PerformerInnen (Salka Ardal Rosengren, Alexandre Achour und Scarlet Yu) Stravinskys Werk vom Erwachen des Frühlings und des dafür notwendigen Opfers. Abwechselnd treten sie ans imaginäre Pult der Bühne und bringen durch ihre individuellen Bewegungssprachen immer wieder neue Klangwelten hervor. Denn was man sieht, das hört man auch - und umgekehrt, wie sich bei einer reinen Musiksequenz zeigt. Und wenn dann alle drei Dirigenten-PerformerInnen zusammen ‚am Pult‘ stehen, kommt zu dem ständigen Wechselspiel von Bewegung und Klang noch die menschliche Kommunikation, die sich einmal ganz harmonisch und synchron den melodischen Linien der Komposition widmet und ein andermal in einen offenen Konkurrenzkampf um die energischeren und überzeugenderen Dirigier-Gesten tritt - da wird die Musik schon fast zur Nebensache, der Dirigent als Darsteller die Hauptattraktion.

Xavier Le Roy lotet durch die verschiedenen Charaktere seiner TänzerInnen und ihrer ‚Dirigiersprachen‘ die Repräsentation des Dirigenten als Performer noch diffiziler aus als in seinem Solo von 2007. Nicht nur die Bewegungen auch die Musik wird durch Unterbrechungen und Wiederholungen zerstückelt und mehr und mehr zum Objekt einer analytischen Betrachtung. Und genau darin liegt dann auch die Schwäche dieser Neufassung: wirkt die Choreografie deutlich einstudiert, die Bewegungen wiederholt, fehlt ihr der emotionale ‚drive‘, der Le Roys Solo so unterhaltsam, so humorvoll machte und dadurch die aufblitzende Kritik noch spitzer erscheinen ließ. Nunmehr im Modus der theatralen Präsentation (vielleicht trägt zu diesem Eindruck auch das klare Bühne-Zuschauer-Setting bei) verharrend, wirkt das alles etwas zu distanziert und eventuell zu konzeptuell, um wirklich nahe zu gehen.
 

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