Leben und Sterben einer Legende
„Nurejew“ von Guido Markowitz und Damian Gmür am Stadttheater Pforzheim
Ein Mitglied des Balletttheater Pforzheim tanzt neben einem Urbandancer. Sie füllen zusammen eine Plattform mit ihren Bewegungen, und werden gemeinsam zu Bewegungsforscher*innen. „Das ist nicht alltäglich. Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagt Daniela Rodriguez Romero und Ziya Aktas nickt. Beide kommen aus dem urbanen Tanzbereich; Aktas ist mehrfacher Battle-Meister. Sie sitzen nun mit dem Pforzheimer Ballettchef Guido Markowitz und dessen Stellvertreter Damian Gmür an einem Tisch.
„Ich wollte das schon lange“, sagt Guido Markowitz, dessen Bestreben es von Anfang an war, in Pforzheim Neuland mit dem Ensemble zu betreten, nie auf der Stelle stehen zu bleiben, sondern Bewegung in festgefahrene Strukturen zu bringen. Das ist ihm nun aufs Neue gelungen. „Er ist ganz schön mutig“, sagt Damian Gmür. Wer wagt, gewinnt, lautet ganz offensichtlich die Devise von Guido Markowitz, der mit der Idee eines Forschungsprojekts, das die urbane und die Bühnen-Tanzszene in einem Labor, kurz Lab, zusammenbringt, auch beim Land Baden-Württemberg offene Türen einrannte. Und prompt eine Zusage für die Förderung des Projekts „URBAN THEATER PFORZHEIM LAB“ von Ende August bis März 2021 erhielt.
Man bringe also ein Ensemble einer Institution wie dem Stadttheater Pforzheim mit 14 Tänzer*innen der urbanen Tanzszene unter ein Dach, und da ist zum einen die Lust auf Neues, Neugierde und Dynamik, die Bereitschaft, über den eigenen Schatten zu springen und Gewohnheiten zu verlassen, wie es Damian Gmür beschreibt. Da ist aber auch das Gefühl der Notwendigkeit und der Wille ein realistisches Bild der Gesellschaft zu zeichnen und sie in ihrer Vielfalt in die eigene Mitte zu holen. Urbanen Tänzern und Tänzerinnen eine Plattform zu geben, ihr institutionelles Schattendasein zu beenden.
„Es gibt sonst kein Land, das überhaupt von einer Hochkultur und einer Populärkultur spricht“, sagt der Schweizer Damian Gmür über Deutschland. Dieses Denken zu überwinden, braucht viel Kreativität, Mut und Engagement. Denn es ist mehr als ästhetische Forschung, die die Tänzer*innen betreiben, mehr als eine Bewegung, der sie nachspüren. Sie mussten, bevor sie sich Ende September zum ersten Mal in Pforzheim (natürlich ohne Berührung, nur mit Sichtkontakt und in Gruppen aufgeteilt) trafen, online Aufgaben lösen. Den Rhythmus eines Stücks spüren, den Herzschlag etwa, dies dann umsetzen in Bewegung und ihren Labor-Partner*innen ihre Erkenntnisse und Auffälligkeiten in Worten schildern, bevor es dazu überhaupt eine visuelle Ergänzung in Gestalt eines Videos gab. „Die Teilnehmer haben also erst einmal die Aufgabe in ihrem eigenen Labor gelöst, in ihrem Privatzimmer“, so Romero.
15 Treffen, die in einer öffentlichen Performance münden. 15 Treffen, die dem urbanen Tanz mitten in der institutionellen Bühne des Ballett Theater Pforzheim eine Plattform bieten. 15 Treffen, von denen Daniela Rodriguez Romero sagt, dass sie eine „Erweiterung des Bewegungs-Vokabulars“ bedeuten. Dem ist auch von Seiten der Pforzheimer Ballettspitze nichts mehr hinzuzufügen. Das Vierergespann Theater Pforzheim und urbane Tanzszene, das von Romero als „Brückenpersonen“ bezeichnet wird und sich bemüht, den Tänzer*innen einen Raum zu geben, in dem sie sich voller Vertrauen öffnen können, hat bei aller als bereichernd empfundenen Unterschiedlichkeit laut Guido Markowitz ein gemeinsames Ziel: „Wir wollen den Tanz nach vorne bringen. Einen Prozess anstoßen, der einer neuen, um Aspekte erweiterten Körpersprache auf die Spur kommen will. Ohne sich gegenseitig etwas überzustülpen.“
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