Raimund Hoghe ist tot

Deutschland verliert eine wichtige Stimme für die Schwachen und Unsichtbaren in unsererer Gesellschaft und einen großen Protagonisten des politischen Tanztheaters.

Er warf ein letztes Mal seinen Körper in den Kampf. Gestern, am 14. Mai, verstarb der Choreograf, Tänzer, Filmemacher und Autor Raimund Hoghe völlig unerwartet im Alter von 72 Jahren.

München, 15/05/2021

Am 14. Mai sollte Raimund Hoghe in einem Ersatzprogramm für das ursprüngliche geplante Gastspiel „Canzone per Ornella“ bei dem Münchner Tanzfestival DANCE Filme von sich präsentieren und im offenen Dialog mit der Tanz- und Theaterwissenschaftlerin Katja Schneider über sein Leben und seine künstlerische Biografie, am darauf folgenden Tag über das Alter sprechen. Zwei Tage vorher sagte er ab, weil er sich schwach fühlte.

Am 14. Mai verstarb nun der Choreograf, Tänzer, Filmemacher und Autor Raimund Hoghe völlig unerwartet und voller Pläne für zukünftige Tanzproduktionen und -projekte im Alter von 72 Jahren. Sein Interesse an Menschen – besonders an denjenigen am Rand unserer Gesellschaft, die er beobachtete und denen er zuhörte - war der Kern seiner Arbeit. Hinzuschauen, wo es am meisten weh tut, wo die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird. Flüchtlinge, die unter unvorstellbar grausamen Umständen ihr Leben lassen müssen, ermordet werden – während Europa mehr zusieht, als aktiv hinzuschauen – sind Umstände, die für ihn nicht tragbar sind, und Gehör in seinen Stücken finden. Die Maxime des in Düsseldorf beheimaten Künstlers lautete: „Den Körper in den Kampf werfen“. Der berühmte Satz von Pasolini beschreibt den Kern der international hochgeschätzten künstlerischen Arbeit von Raimund Hoghe. „Für mich sind Körper wie Landschaften, und so, wie es verschiedene Landschaften gibt, gibt es auch verschiedene Körper – und alle haben ihre Berechtigung“, schrieb er.

Der hoch politische Künstler, der gerade im Jahr der Pandemie und angesichts der Flüchtlingskrise in größter Sorge um die weltweite Entwicklung der Menschheit war und sich diebezüglich auch immer deutlicher und vehementer formulierte, interessierte sich aktuell weniger dafür wie es ihm geht als eher für die zukünftigen Generationen. Er schrieb in seinem Grußwort zum 25. Jubiläum von tanznetz.de: „Kultur in all ihren Facetten ist lebensnotwendig - wir brauchen sie, um zu überleben.“ Das könnte man wahrscheinlich auch als Hoghes Lebenscredo bezeichnen.

Raimund Hoghe, Jahrgang 1949, zählte zu den wichtigsten Protagonisten des zeitgenössischen Tanzes und war in den 1980er Jahren als Dramaturg für die renommierte Wuppertaler Choreografin Pina Bausch tätig. Seine Karriere als Tänzer und Choreograf begann er 1992, 1994 choreografierte er „Meinwärts“, sein erstes Solo für sich selbst als Tänzer. 1997 schuf er „Chambre séparée“ und im Jahr 2000 „Another Dream“ als Trilogie über das vergangene Jahrhundert. Später folgten Choreografien mit und für andere, stets als Huldigung an den Körper, stets begleitet durch einen kenntnisreichen und feinen Umgang mit Musikeinspielungen und stets den Menschen mit seinen exemplarischen Geschichten, Brüchen und Ambivalenzen im Blick. Seine Stücke befassten sich mit gesellschaftspolitischen Themen, wie dem Umgang mit Geflüchteten.

Für seine Arbeiten hat er zahlreiche Preise erhalten, darunter 2001 den „Deutschen Produzentenpreis für Choreografie“. 2019 wurde er zum „L’Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres“ durch das französische Kulturministerium ernannt. 2020 erhielt er den Deutschen Tanzpreis – die höchste Auszeichnung, die der Tanz in Deutschland zu vergeben hat. In ihrer Laudatio nannte Katja Schneider den Tanzpreis-Träger Raimund Hoghe „einen Künstler, der den Traum nährt und die Sehnsucht nach einem anderen Leben wachhält.“ Dieses andere Leben müssen wir nun für ihn fortführen, denn sein Körper stand dem Kampf nicht mehr stand. RIP Raimund!

Heute in der digitalen Ausgabe bei DANCE, dem internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz der Landeshauptstadt München: Die Jugend ist Kopf, eine Einführung von Katja Schneider

Eine Würdigung für Raimund Hoghe von Anna Beke anlässlich des Deutschen Tanzpreises im Oktober 2020 auf tanznetz.de

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