„Wetland” von Katharina Senzenberger und Kompliz*innen 

Sliding into the Future

Katharina Senzenberger und Kompliz*innen gleiten mit „Wetland” durch das Tanzhaus NRW

Stehende Ovationen lassen erhöhte Zuwanderung an den feucht-queeren Ort erwarten. Aber Achtung: Es besteht Rutschgefahr!

Düsseldorf, 06/11/2022

Einzug ins „Wetland“: Ein Wasserfall aus fünf Körpern bahnt sich den Weg über die Publikumstribüne und ergießt sich in einer sitzenden Formation auf dem Boden. Quietschende Sneaker verraten die Trockenheit im Habitat. An Gleiten ist nicht zu denken, dafür müssen vorherrschende Strukturen erst einmal mit Gleitmittel eingeschmiert werden. Das Einzige was fließt, sind die Hände der Tänzer*innen über ihre nackte Haut und mit ihnen die Blicke des Publikums. Die forschende Liebkosung des späteren Slidingmaterials wird zur Schärfung eines liquid gaze der Zuschauer*innen. Bisherige Sehgewohnheiten verflüssigen sich, binäre Strukturen werden unterspült und ergeben einen erquickenden Strudel der Sinneswahrnehmungen.

Die weiße Fläche von „Wetland“ grenzt sich mit angebrachten Banden vom Umfeld ab, doch einer permeablen Membran gleich, bleibt sie an einer Seite für potenzielle Austauschprozesse offen. Die fließenden Bewegungen der Tänzer*innen bilden einen starken Kontrast innerhalb des starren Rahmens. Festes Fleisch wechselt den Aggregatszustand und transformiert sich in einen flüssigen Organismus. Hinter den Zellwänden brodelt das Wasser, baut sich zu einer Welle auf und strömt in den Raum, wo der Impuls von anderen Organismen aufgenommen wird. Es entsteht untereinander ein fließender Austausch, der sich kapitalistischen Strukturen, konkurrierenden Körpern, widersetzt. Stattdessen wird der Ort von einer queeren Zeitlichkeit durchflutet, gepaart mit einer Sogkraft, den Körper immer wieder für Entspannung und gemeinsames Verweilen mit dem Boden verschmelzen zu lassen. Doch noch besteht eine schmerzhafte Reibung zwischen den Schichten, schafft Schürfwunden, aber eben auch eine Sehnsucht nach materieller Flüssigkeit.

Zwei Organismen vereinen sich zu einem Orgasmus. Der Kuss zwischen Senzenberger und Benze C. Werner verbindet sich offensichtlich mit der Natur. Ein Regenschauer erlöst den Raum von seiner Trockenheit. Doch keine Angst: Dem glitschigen Kitsch ergeben sich nur diejenigen, die weiterhin nach heteronormativen Romantik-Darstellungen im Film lechzen. Der liquid gaze ermöglicht weiter zu sliden und den Moment als Empowerment zu begreifen, als würde sich die Sprinkleranlage des Tanzhauses einschalten, because gurl: It´s getting hot in here! Auch manche Kameras laufen heiß, weil die überfordernden Besitzer*innen nicht wissen, wie sie diesen flüssigen Zustand der Schönheit für sich festhalten sollen. Abkühlung bitte!

Verglichen mit der vorangegangenen Sliding-Duo-Performance „Solid liquid“ hat sich die metaphorische Konsistenz der Rutschflüssigkeit verändert. Damals schienen projizierte vergossene Tränen an der Wand in den Boden überzugehen. Stehen sie zwar für die angesagte Modeerscheinung der Vulnerabilität, haben sie, aufgrund der Symbolik von weiblichen Tränen in der Kunsthistorie, einen faden Beigeschmack. Anders bei „Wetland“: Der Boden wird juicy, manifestiert eine kollaborative Austauschplattform von feuchtfröhlichen Körperflüssigkeiten. Einmal in den Modus des Rutschens gelangt, wird sich gegenseitig angeschubst, teilweise Halt gegeben, nur um sich in die nächste scheinbar nie enden wollende Drehung zu katapultieren. Die Schichten schmiegen sich aneinander, das Quietschen entwickelt sich zu einem Geräusch des Spaßes. Die vereinzelten popkulturellen Posen kulminieren zu einem feministischen Musikvideo. Endlich nicht mehr vor dem Bildschirm hängen und bei VIVA den Clip zu Christina Aguileras „Dirty“ anschauen, sondern live dabei sein, wenn die aufgebwirbelten Wassertropfen den eigenen Körper berühren könnten. Dabei schauen die Slider*innen dem Publikum tief in die Augen, strahlen eine selbstverständliche Selbstsicherheit aus. Schon scheint die Stabilität der Banden einzureißen, dienen nur noch als Absprungbrett sich in neue Sphären zu schießen; die Ränder sind mittlerweile einer ständigen Fluktuation ausgesetzt.

Nach der Aufführung fängt es draußen an zu regnen. Auch dort küssen sich zwei Menschen innig. Allerdings greift außerhalb von „Wetland“ das Gleitmittel noch nicht. Wie gelangen wir als Gesellschaft von einem unbeholfenen Schlittern zu einem smoothen Sliden?
 

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