Der Tanz durch wunderbare Welten
Die Landesbühnen Sachsen verabschieden ihren Choreografen Reiner Feistel mit einer fulminanten Gala
Drei Arbeiten unter dem Titel „Fall“ an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul
Vielleicht ist für einen künstlerischen Ansatz der Gedanke des emotionalen Fallens am reizvollsten. Zumindest haben sich die drei unabhängig voneinander erarbeiteten Stücke im neuen Tanzabend der Landesbühnen Sachsen in Radebeul darauf eingeschwungen.
Alessandra La Bella schafft einen starken Auftakt mit einer, fast vordergründig deutlichen, Familienkonstellation: Gavin Law und Anja Neukomm als Eltern, die sich um ein scheinbar unheilbar erkranktes Kind (Lorenzo Giovanetti) sorgen. Ein schönes Ende findet das nicht; das Kind „versinkt“ am Ende in der Badewanne, während die Mutter langsam die Szene verlässt. Vor diesen Abschied hat La Bella einen kräftezehrenden Kampf gestellt, der auch immer wieder konkrete Gesten erlaubt, wie Husten, Würgen und augenscheinliche Probleme bei der Nahrungsaufnahme durch das Kind.
Mit Lorenzo Giovanetti hat das Ensemble seinen ausdrucksstärksten Tänzer gefunden. Das hatte er unter anderem bereits in der beeindruckenden Arbeit „Eulogy“ von Luana Rossetti bewiesen. Mit seiner fast kompromisslosen Präsenz macht er Neukamm und Gaw fast zu bloßer Deko, was konzeptionell aber keine Schwäche darstellt. In der Regel verlieren Eltern, die sich einer derart komplexen Aufgabe stellen, nicht selten an Eigenständigkeit, wenn sich nur noch alles um das eigene Kind dreht. Das bringt zwangsläufig komplizierte Dynamiken unter den Dreien mit sich. Der Titel des Stücks „Fall asleep, my child / Schlaf ein, mein Kind“ gerät so zum unmissverständlichen Todeswunsch in der Hoffnung auf Erlösung.
Dekadente Gesellschaft
Mit „Demise, because we waited / Untergang, weil wir gewartet haben“ skizziert Joao eine siebenköpfige Gesellschaft, die, wirft man einen Blick auf die durchaus edlen Kostüme und den getragenen Gestus, Teil der High Society ist. Schlecht geht es da keinem. Zumindest oberflächlich betrachtet. Elitär und gediegen durchlaufen sie eine Art Defilee, das unter dem kalten Licht unecht und falsch wirkt. Was zunächst wie ein Spiel wirkt, bringt bald ganz offensichtlich echte Verlierer hervor. Dann heißt es: Jeder gegen jeden. Es wirkt wie ein bitterkomischer Untergang, vor dem alle die Augen verschließen. Das bringt viel Komplexität in der Bewegungssprache mit sich, zeigt damit aber auch ein Konzept, das sehr viel will, vielleicht zu viel. Nach und nach verschwinden die Tänzerinnen und Tänzer von der Bildfläche, bis nur noch Anja Neukomm im besten Sinn des Wortes „im Föhn“ steht. Eine Windmaschine zerzaust ihr das Haar, ohne dass sie sich dagegen wehrt.
Dieser gesellschaftliche Zerfall ist hier Sinnbild einer „post truth“-Ära, wie Joao selbst einräumt. Die Tendenz, Fakten gegen Meinungen auszuspielen, lässt auch Kommunikation ganz allgemein verkommen. Etwas dagegen tun können die hier Beteiligten allerdings offenbar nicht.
Mittsommernachtsgeplänkel
Chris Jäger hingegen räumt ein, „in den Bäumen und in der Scheune“ aufgewachsen zu sein. So verwundert es nicht, dass sein Setting mit Heuballen, Lichterkette und Hollywoodschaukel äußerst bukolisch daher kommt. Idyllisch ist hier aber tatsächlich nichts. Für „gefallene Engel“ interessiert sich Jäger den eigenen Worten zufolge. In gewisser Weise erinnert dieses Geplänkel und Miteinander in „Midnight Swinging / Mitternachtsschaukeln“ nicht nur wegen des Titels an Shakespeares „Sommernachtstraum“. Ema Jankovič, Christian Senatore und Lorenzo Giovanetti arbeiten sich derart aneinander ab, dass man sich fragt, welche Probleme sie eigentlich wälzen. Er mit ihm (leider weniger emotional überzeugend) und sie mit ihm und eine Maus kommt auch noch mit ins Spiel. Warum Jankovič diese dann aber auch noch im Mund spazieren führen muss, bleibt wohl ihr Geheimnis. Vielleicht aber ist ja genau das ein Mitternachtstraum, also gar nicht real? Schließlich singen ja dann auch die Cranberries in „Dreams“ davon, dass das eigene Leben „never quite as it seems“ sei. Und dann hängen Jankovič und Senatore wie Leichen in der Hollywoodschaukel, die nur noch Giovanetti „am Leben“ erhält. Wahrscheinlich wird das immer so weitergehen. Jede Nacht ist lang.
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