„Im Puls“ von Natalie Wagner, Tanz: Ensemble

Ein tiefes Ausatmen

„Im Puls“ von Natalie Wagner an den Landesbühnen Sachsen, Radebeul

So beruhigend wie das entspannte Treiben in einem Aquarium: Das Ensemble bleibt ganz bei sich und holt das Publikum trotzdem ab.

Dresden / Radebeul, 09/02/2025

Wer angesichts des Titels „Im Puls“ spontan an den Begriff Impuls denkt, liegt richtig. Aber auch nicht ganz. Was die Leiterin des Tanzensembles an den Landesbühnen Sachsen in Dresden/Radebeul, Natalie Wagner, hier gemeinsam mit der noch recht frisch zusammengewürfelten Truppe auf die große Bühne des Hauses gebracht hat, verbindet Impulse mit einem grundlegenden Puls. Gleichzeitig wirkt alles wie „Im Fluss“.

Von der bisherigen Riege der Tänzerinnen und Tänzer sind seit dieser Spielzeit mit Tuan Ly, Gavin Law und Igor Prandi nur noch drei Namen übriggeblieben; alle anderen sind neu hinzugekommen. Von eventuellen noch zu bearbeitenden Reibungsflächen zwischen den einzelnen ist aber bei dieser entspannten, leicht nach innen gekehrten Arbeit nicht das Geringste zu sehen oder zu spüren. Alle sind gelassen, aufmerksam und miteinander verbunden. Das gilt für die generelle Arbeitsweise des Ensembles genauso wie für den Kern des Stücks.  

Nur ein einzelner Spot, der einen nackten Rücken beleuchtet: Der Anfang ist deutlich reduziert. Dieser Rücken atmet sichtbar, bewegt sich, erwacht. Aus den Lautsprechern scheppert es, es tröpfelt, trippelt und knistert. Nikolaus Woernle umspielt ganz vorsichtig mit seinen genauso erwachenden Sounds das Ensemble, das sich zu einer organischen Einheit formt. Es ist eine Art Schwarm, der allmählich in ein Wogen kommt. Und das so allmählich, dass man als Zuschauer dafür wirklich Geduld braucht. Man muss sich darauf einlassen können, bereit sein, abzugeben. Ja, das gesamte Stück hat durchaus etwas von einer 60-minütigen Yoga-Einheit. Nur ohne Muskelkater am nächsten Morgen. 

Der Puls schlägt in den Dingen

Es sind sensible Verbindungen, die das Miteinander prägen, ein Suchen und Austesten von Nähe. Von Impulsen offenbar keine Spur. Zumindest scheint nichts deutlich angestoßen oder unterbrochen zu werden. Und doch sind sie da. Die Impulse, sie finden untereinander statt, zwischen den Tänzerinnen und Tänzern. Es ist ein aufeinander Hören, ein aufeinander Reagieren. Und gut reagieren können muss hier auch die Technik. Woernles Sounddesign wird nicht einfach nur „abgespielt“. Es setzt sich aus flexiblen Einheiten zusammen. Das Timing dafür, also die Frage danach, wann welcher Teil beginnt, das liegt bei den Tänzern auf der Bühne. Ihre Impulse entstehen individuell; auch hier entsteht also ein Dialog, ein Dialog mit der Musik. So ist jede Vorstellung in winzigen Punkten anders.

Das Ensemble wirkt immer wieder wie ein Schwarm Fische, im Miteinander verspielt anzusehen, scheinbar zweckfrei. Die Einzelteile dieser eigentlich amorphen Masse arrangieren sich immer wieder zu tableau vivants, zu lebendigen Bildern mit überraschender Wirkung. Die scheinen sich langsam zu so etwas wie ein Markenzeichen Natalie Wagners zu mausern. Im Finden immer neuer Bilder ist sie unermüdlich. Das erschöpft sich interessanterweise im Verlauf der vielen Arbeiten, die sie inzwischen für die Landesbühnen geschaffen hat, kein bisschen. Hier zeigt sich auch ihre Vorliebe in der Arbeit mit einer Gruppe von mehr als zehn Leuten. 

Der Puls aus dem Titel wird erst mit dem Verlauf des Stücks wahrnehmbar. Es ist ein unsteter, mal deutlicher spürbar, mal ganz verhalten. Er setzt aber zu keiner Zeit aus. Es ist also eher ein grundlegender Rhythmus, nicht impulsive Brechungen, der das Stück zusammenhält. Das erlaubt den Tänzerinnen und Tänzern auch, ineinander über zu gehen, minimale Impulse, die für das Publikum unsichtbar bleiben, zu empfangen, aufzugreifen und darauf zu reagieren.

Diese Reaktionen des Einzelnen, zusammengesetzt, bilden ein Geflecht an sensiblen Verbindungen. Die reduzierten Kostüme vereinheitlichen die Individuen scheinbar, wenn sie, je nach Licht, mal rosé wirken, mal beige, mal hautfarben. Erst ganz zum Schluss, wenn alle in einfachem Licht in einer Reihe nebeneinanderstehen, kann man erkennen, dass jedes Kostüm eine eigene farbliche Schattierung hat. Es sind also viele „Hautfarben“, eine Vielfalt, aus der heraus die Verbindungen zu einem großen Ganzen entstehen können.  

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