Dialogische Verbindung
Weltpremiere der kanadischen Choreografin Aszure Barton zum Abschluss des Internationalen Sommerfestivals
Schon beim Betreten der K6 ergreift einen ein fast feierliches Gefühl der Andacht: abgedunkelt der Raum, nur ein großes, nach vorne offenes ovales Lichtband schwebt über der maximal aufgedehnten, schwarz ausgelegten Bühne, eine schmale weiße Leuchtröhre begrenzt die zusätzlich aufgebauten fünfreihigen Seitentribünen. Im Hintergrund ein rundes Podest für ein DJ-Pult, wiederum von einer schmalen weißen Leuchtröhre umfangen. Darüber eine riesige schwarzglänzende Kugel, deren Funktion sich (noch) nicht erschließt (Bühne und Licht: Nicole Pierce). Schwarz und weiß also. Kontraste. Aber auch Farben, die eigentlich das ganze Lichtspektrum einschließen. Aszure Barton bleibt dabei – es wird nicht bunt an diesem Abend auf der Bühne, was die Konzentration eher noch steigert. Nichts stört das, was der manchmal an HipHop, Streetdance und Club erinnernde Tanz sowie der Freestyle Jazz von Ambrose Akinmusire in den folgenden gut 60 Minuten an Seh- und Hörerlebnis erschließen. Und das entfaltet aus sich heraus ein vielfältiges Seelenerlebnis. Buntes im Äußeren würde da nur ablenken.
Der Titel ist Programm: AA und AB steht für die Initialen der Choreografin und des Komponisten. „Bend“ – das drückt aus, wie nahe sie sich sind in ihrer Kunst. So schlicht, so einfach, so wahr.
Aszure Barton, so hört man beim Publikumsgespräch im Anschluss an die Samstags-Vorstellung, hat schon vor anderthalb Jahren mit der Arbeit an diesem Stück begonnen. Einfach so. Ohne jeden Vertrag, ohne genau zu wissen, wo sie dieses Werk einmal zeigen würde. Nur eines war für sie klar: auf Kampnagel sollte es sein, beim diesjährigen Sommerfestival. András Siebold, der Leiter dieses vierwöchigen Events, stimmte damals eher zögerlich zu: er habe sich der Gewissheit von Aszure einfach nicht mehr erwehren können… Charmant. Denn natürlich war klar: So eine zweite Weltpremiere zum Abschluss des Festivals, das ist schon was, da kommt nicht nur die Lokalpresse. Noch dazu bei einer Choreografin, die sich bereits einen Namen gemacht hat und auf Kampnagel schon 2019 mit „#WTF Where There’s Form“ die Herzen der Zuschauer*innen eroberte (siehe tanznetz vom 28.8.2019). Es wird ihm also nicht so schwergefallen sein, ihr die Zusage zu geben.
Für ihr neues Stück arbeitete Aszure Barton wieder mit einem Musiker zusammen: 2019 war es Hauschka, jetzt ist es der Jazzmusiker und Trompeter Ambrose Akinmusire, mehrfach Grammy-nominiert und weltweit für namhafte Künstler*innen aktiv. Aber anders als vor vier Jahren liegt jetzt viel mehr Emotion in der Luft, ist die Verbindung zwischen der Choreografin und dem Musiker unmittelbar spürbar. „Die Musik sagt mir, was ich zu tun habe“ kommentiert Aszure Barton. „Etwas ging auf in mir, als ich Ambroses Musik gehört habe. Alles bewegt sich. Immer. Und umgekehrt beeinflussen die Tänzer*innen auch die Musik.“
Und so entwickelt sich an diesem Abend aus dieser andächtigen Stimmung heraus ein fast meditativer Dialog zwischen dem Disco-Pult und dem Tanz auf der Bühne. Wie absichtslos kommt er daher, und doch ist er natürlich durchgearbeitet bis in die feinste Detail, bis in jede Handbewegung, jedes Wackeln mit dem Hals, jede Gestik. Aszure Barton dekonstruiert den Körper regelrecht, um ihn sogleich wieder zusammenzusetzen. Manchmal, sagt sie, habe sie zwei Wochen gebraucht für zehn Sekunden Tanz… Den zwölf Tänzer*innen im Alter zwischen 21 und 44 Jahren, allesamt bravourös, verlangt das ein Höchstmaß an Konzentration ab (sie müssen innerlich alle eine Stunde lang mitzählen, sonst kriegt man diese Akkuratesse nicht hin).
Fast unmerklich betritt Ambrose bei noch leerer Bühne das Podest und beginnt, seiner Trompete Töne zu entlocken, zärtliche, werbende, liebevolle Klänge schweben in den Raum, umschmeicheln die Ohren. Aus dem Dunkel schält sich ein Mensch auf schwarzen Tanzsocken, in einen schwarzen Hoody gehüllt, die Beine umspielen weich fallende, schwarze Satin-Pluderhosen (Kostüme: Rémi van Bochove). Er beginnt zu tanzen, mit schüttelnden, gleitenden, weichen Bewegungen, als lege er sich in die Klänge hinein, befreie sich von ihnen, um erneut in sie einzutauchen. Auf eine Geste hin gesellen sich die elf anderen zu ihm, gleich gekleidet, so dass sie kaum voneinander unterscheidbar sind. Zwölf Wesen, die sich umkreisen, umspielen und in der Folge eine nicht enden wollende, stetig wechselnde Bewegungssprache entwickeln, die immer mal wieder an rituelle Tänze erinnert. Nie wird sie langweilig, kaum wiederholt sie sich, alles ist ständig in Bewegung, es ist ein Gleiten und Fallen, Spreizen und Ducken, Kauern und Dehnen, nie chaotisch, auf ganz eigene Weise ruhig, gelassen, federnd und stets miteinander verbunden. Immer wieder bewegen sie sich synchron, was die Faszinationskraft noch verstärkt. Manchmal rutscht die Kapuze des Hoodies vom Kopf – dann zeigen sich feine Gesichter mit verhaltender Mimik, hochkonzentriert, hingegeben an die Bewegung.
Die Musik entwickelt währenddessen eine eigene Dynamik. Eine Klangcollage löst die Trompete ab, die sich fast vorwitzig immer wieder einmischt und dazwischenfunkt, und jetzt auch mal schrill und fordernd, fast zeternd, wütend. Der Tanz lässt sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Schließlich zieht der Großteil der Gruppe ins Dunkel zurück, nur ein Paar bleibt, die Frau jetzt nur im Trägerhemdchen zu der weiten Hose, und es entwickelt über eine Viertelstunde hinweg ein hinreißender, in sich verschlungener und einander verschlingender, dabei aber hochgradig respektvoller Pas de Deux. Nichts daran ist obszön. Alles ist weich und fließend, technisch hoch anspruchsvoll, nie verlieren die beiden den Kontakt, ohne einander je zu dominieren. Magisch ist das. Man kann die Augen nicht abwenden. Und man kann nicht genug bekommen von dieser Liebeserklärung an das Miteinandereinssein, die immer wieder neue Muster erfindet, um sich zu erklären.
Schließlich kommt eine zweite Frau dazu, der Mann löst sich und geht weg, die erste Frau folgt ihm und entschwindet mit ihm. Das Lichtband an der Decke und ebenso am Boden schaltet von weiß auf grün, verschlungene cremefarbene Linien werden auf den Boden projiziert. Die Gruppe findet wieder zusammen und entwickelt die schon vorher angelegte Bewegungssprache noch weiter, so dass man irgendwann aufhört zu denken und sich einfach fallenlässt in das Schauen und Hören, in das Schwingen und Gleiten. Bis sich zum Schluss alle am Podest versammeln, um dann den Raum zu öffnen, zu weiten, indem sie sich am Rand der Bühne zu einem Kreis versammeln. Und so findet die Seele genug Luft, um noch einmal genau hinzulauschen in das Finale der Trompete, bis auch sie verlischt. Noch einmal: magisch.
Standing ovations für Aszure Barton, ihre phantastischen Tänzer*innen und Ambrose Akinmusire.
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