Tarek Assam während einer Probe

„Tolle Orte, um Tanz neu zu denken“

Interview mit Tarek Assam, dem Chefchoreografen des Nordharzer Städtbundtheaters

Vor mehr als zwanzig Jahren rief Tarek Assam gemeinsam mit der Dramaturgin Mechthild Hobl-Friedrich das Festival und Netzwerk „TanzArt ostwest“ ins Leben. Mit Assams Wechsel an das Nordharzer Städtebundtheater vor einem Jahr bekommt die 22. Ausgabe nun erstmals einen Austragungsort in Sachsen-Anhalt.

Getanzt wird vom 2. bis 12. Juni auf den Bühnen in gleich vier Städten: in Halberstadt, Quedlinburg, Wernigerode und Bernburg. Interessant: Tarek Assam war schon einmal, von 1995 bis 2003, Ballettdirektor in Halberstadt. Nach zwanzig Jahren als Tanzdirektor am Stadttheater Gießen in der Metropolregion Rhein-Main war er zu Beginn dieser Spielzeit in die ostdeutsche Provinz zurückgekehrt. Im Gespräch mit Alexandra Karabelas gibt er Auskunft darüber, was ihn antreibt und welche Chancen er im Osten für den Tanz sieht.

 

Herr Assam, wer oder was hat Sie dazu gebracht, bereits zum zweiten Mal in Ihrem Leben Ballett- bzw. Tanzdirektor in Halberstadt zu werden?

In den Gesprächen mit der Intendanz, die mit der Spielzeit 2022/23 in Gießen neu angetreten ist, haben sich unvereinbare künstlerische Positionen ergeben. Daraus resultierte im Ergebnis mein Weggang vom Stadttheater Gießen. Dass mir danach angeboten wurde, in Halberstadt, Quedlinburg und in der Region weiterzumachen, empfand ich als eine großartige Chance. Man denkt hier nicht nur in den Grenzen einer einzelnen Stadt, sondern für ein großes Einzugsgebiet mit vielfach unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten. Der Harz, Halberstadt, Quedlinburg bzw. Sachsen-Anhalt als Ganzes bieten so viele tolle Orte und Ansätze um Tanz neu zu denken, modern zu denken.

 

Wie haben sich zwanzig Jahre nach Ihrem damaligen Weggang aus Halberstadt Ihre ersten Tage wieder hier angefühlt?

Merkwürdig und fremd, denn vieles hat sich hier mit der Intendanz von Johannes Rieger verändert.

 

Würden Sie das näher beschreiben?

Es gibt neue Perspektiven: Die anvisierte Umwandlung des Gesellschafterkonstrukts „Nordharzer Städtebundtheater“ in eine GmbH ist definitiv eine Chance, Theater in der Harzregion anders und neu zu etablieren. Auch hat sich das Stadtbild verändert, und die Menschen erscheinen mir wesentlich freundlicher als ich sie in Erinnerung hatte (lacht). Ich mochte die Stadt und die Gegend aber schon immer, denn sie hat einen verborgenen Reichtum, mystische Orte an denen sich Hexen trafen und eine an Kuriositäten reiche Vergangenheit. Nicht zuletzt ist sie ein Spielplatz der klassischen Moderne durch das John Cage Orgelkunstprojekt ORGAN2/ASLSP, das seit 2021 in Halberstadt aufgeführt wird.

 

Hat sich in Halberstadt noch jemand an Sie erinnert?

Ich war überrascht, dass sich viele Menschen an mich erinnerten, nach so langer Zeit.

 

Was hat man Ihnen gewünscht?

Energie, um die Sparte neu aufzusetzen, Kraft, um Verkrustetes zu entschlacken, und Spaß mit der Compagnie.

 

In welchem Zustand haben Sie die Tanzsparte vorgefunden?

Ich traf auf eine hochambitionierte Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern, deren künstlerische Ausrichtung jedoch nicht mehr klar definiert war, und auf eine Sparte, die sich nicht im Kontext der Entwicklung des Tanzes in ganz Deutschland gesehen hat. Die Referenzen zur Tanzszene an anderen Orten werden noch gesucht. Ich freue mich über großartige Menschen, mit denen ich gerne angefangen habe zu arbeiten.

 

Wie haben Sie Ihre zweite „ostdeutsche“ Compagnie zusammengestellt? Was fiel Ihnen dabei auf?

Eigentlich habe ich die Gruppe nicht neu zusammengestellt, sondern alle, die bleiben wollten, wurden übernommen. Wir hatten auch wenig Zeit. Die Vertragsverhandlungen hatten sich hingezogen. Tänzerinnen und Tänzer nach nur knapp vier Wochen, in denen ich sie kennenlernen konnte, nicht zu verlängern, wäre unfair und unkünstlerisch gewesen. Die Gruppe war und ist sehr homogen und arbeitet im Team gut zusammen. Ich habe mich auf die Zusammenarbeit mit diesen Künstlerinnen und Künstlern gefreut.

 

Gibt es besondere Aufgaben, die Sie sich gesetzt haben oder anders: Was braucht der Tanz oder die Stadt für den Tanz heute von Ihnen?

Ich habe mich in den vergangenen Jahren in Giessen sehr dem zeitgenössischen Tanz zugewandt. Ich bin im Anspruch physischer geworden. Dies habe ich dem Ensemble auch gesagt, denn die Gruppe war einseitig klassisch trainiert. Wir haben zunächst über ein neu strukturiertes Trainingsmodell verschiedene Tanztechniken an das Ensemble herangetragen, wobei die Trainingsleitergruppe gewachsen ist. Es sind dies Künstler, die kontinuierlich während der ganzen Spielzeit mit dem Ensemble arbeiten, also nicht nur für Workshops oder Seminare kommen.

 

Waren Sie nervös, als Sie wieder Ihre erste Premiere präsentierten? Sie hatten sich für „Winterreise“ von Franz Schubert entschieden – ein sehr deutsches Werk und Thema, das zugegebenermaßen sehr zur Harzregion passt.

Ich war sehr nervös, obwohl das Ensemble gut vorbereitet war. Der Ansatz zu dieser „Winterreise“, gesungen von einer Frau, mit untypischen Symbolen durchsetzt und weitgehend abstrakt gehalten, ist ein Statement.

 

Wie hat das Publikum auf Sie nach dieser Premiere reagiert?

Mit Standing Ovations und Bravos.

 

Mit Ihnen nach Halberstadt ist Ihr Tanzfestival „TanzArt ostwest“ an seinen Anfangsort umgezogen. Wieso kündigen Sie die 22. Ausgabe als erstes Festival für zeitgenössischen Tanz in Sachsen-Anhalt an?

Ich muss korrigieren: Die Gründung des TanzArt Netzwerks erfolgte in Herford, die ersten Galas haben dann am Nordharzer Städtebundtheater, als singuläre Veranstaltungen, stattgefunden. Das war noch kein Festival, eher die Realisierung eines Netzwerkgedankens mit Einzelveranstaltungen, zu denen mehrere Ballettensembles zusammenkamen. Jetzt, 2023 nach Sachsen-Anhalt kommend, sahen wir, dass es kein Tanzfestival in Sachsen-Anhalt gab. Dies wurde uns bei Gesprächen in der Staatskanzlei im Ministerium für Kultur in Magdeburg auch bestätigt. Festivals mit anderen Schwerpunkten gibt es natürlich viele, aber eben keines für den Tanz, und schon gar nicht mit dem Schwerpunkt „Zeitgenössischer Tanz“. Da wir das Festival nach den Gesprächen im Ministerium in der ersten Edition gleich in vier Städten verorten konnten, ergab sich in der Konsequenz die Benennung für „Sachsen-Anhalt“. Im Rahmen dieser ersten Edition des TanzArt Festivals wird es insgesamt neun Vorstellungen, eine Fotoausstellung, eine Zusammenarbeit mit den Domfestspielen Halberstadt und erstmals überhaupt ein Treffen der Ballett- und Tanzdirektoren in Sachsen-Anhalt als Landestreffen geben. Eine Erweiterung in andere Städte in Sachsen-Anhalt, u.a. in der nächsten Spielzeit nach Magdeburg, ist bereits geplant.

 

Sie werden in vier Städten spielen: in Halberstadt, Quedlinburg, Wernigerode und Bernburg. Hinzu kommen die Städte Koblenz und Eupen. Zu Gast werden insgesamt zwanzig Compagnien sein. Wie werden Sie den Halberstädtern (den Menschen in der Region) mit welchen Botschaften dieses Festival vermitteln?

Wir möchten die Vielfalt choreografischer Handschriften zeigen, dem Publikum zeigen, was alles Tanz heute sein kann. Kurz: Was „Zeitgenössisches“ im Tanz ist.

 

Die reiche Substanz und Geschichte des Festivals spiegeln sich in dem von Ihnen bereits angesprochenen, gewachsenen Netzwerk aus über 120 Ensembles und Einzelkünstlern. Mit dem Brückenschlag-Wort „ostwest“ sind Sie dabei zunehmend expansiv umgegangen. Tragfähige Verbindungen reichen bis in die chinesischen Städte Shenzhen, Hong Kong, Beijing und Urumqi. Wie gehen Sie 2023 am neuen Standort mit dem Wörtchen „ost“ um? Welchen Ausdruck findet dieses „ostwest“ im Programm?

„Ost“ bietet viele neue Chancen für Entwicklung. Nachdem wir anfänglich diese Orientierung des Netzwerks stark in die osteuropäischen Länder entwickelt haben, kamen in den vergangenen Jahren andere internationale Einflüsse aus der ganzen Welt hinzu. Nun gibt es durch meine Rückkehr nach Halberstadt geografisch eine neue Chance, mit den Tanzschaffenden in den östlichen Bundesländern verstärkt Synergien aufzubauen. Was den fernen Osten betrifft, hoffen wir tatsächlich unsere Verbindungen nutzen können, um die Shenzhen Arts Company ebenso einzuladen wie die Japan Contemporary Dance Company aus Mitsubishi. Es sind auch andere Gruppen aus Osteuropa wie zum Beispiel aus Ljubljana in Slowenien geladen.

 

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