Just (don’t) be yourself!

Buchrezension zu Antje Velsingers „The Bodies We Are (Not)“

Antje Velsinger untersucht in der Publikation „The Bodies We Are (Not)“ zeitgenössischen Tanz als kritische Praxis, die gegenwärtige Körperpolitiken herausfordern will.

Kann zeitgenössischer Tanz den aktuellen Tendenzen von körperlicher Selbstoptimierung etwas entgegensetzen? Wie kann ein Körper, der versucht sich selbst fremd zu werden, einen Gegenentwurf zu neoliberalen Körperpraktiken formulieren? Und wo liegt hierbei das künstlerische Potenzial?

Diese Fragen stellt die Choreografin Antje Velsinger an den Anfang ihrer künstlerischen Forschung, die sie in ihrem aktuell bei Transkript erschienenen Buch „The Bodies We Are (Not)“ verhandelt. Mithilfe verschiedener Perspektivierungen, die insbesondere durch vielfältige Theorie-Praxis-Transfers profitieren wird darin das kluge und selbstkritische Vorgehen der Choreografin – sowohl während ihrer Proben – als auch in der Argumentation ihrer Thesen, nachvollziehbar offengelegt.

Was aktuell in Deutschland als „zeitgenössischer Tanz“ verstanden, praktiziert und unterrichtet wird, hat viel mit Selbstbeobachtung zu tun. Tanzpraktiker*innen üben sich immer wieder in Selbst-Wahrnehmung, um dann, in einem zweiten Schritt, diese Wahrnehmungstraining mithilfe von Improvisationen und Übungen in Bewegungsrecherche umzusetzen. Einerseits bringt diese Technik eine große Freiheit mit sich, weil der Körper – im Gegensatz zu Ballett oder anderen klassischen Trainingsmethoden – nicht einem außenstehenden System unterordnen und ggf. anpassen muss. Das heißt in gewisser Weise ist der Körper „freier“ als in klassischen Ausbildungskontexten. Andererseits – und hierin liegt ein interessanter Widerspruch – unterwerfen sich Tänzer*innen dabei einer ständiger Selbstanalyse, die immer auch einen Hang, vielleicht eine Gefahr zur Selbstoptimierung mit sich bringt. Genau an dieser Stelle setzt die Studie von Velsinger an, die dafür plädiert, Verkörperungen von anderen Körpern als Chance der eigenen Selbstzentriertheit zu begreifen.

Aneignung von anderen Körperlichkeiten als künstlerische Strategie legitim?

Das Embodiment von anderen Körperlichkeiten birgt dabei eine gewisse politische Brisanz. Denn wenn ich, um auf eines von Velsingers Experimenten einzugehen, versuche mir einen Körper anzueignen, der dem neoliberalen Ideal von „schönen“ Körpern widerspricht, bewege ich mich nahe an Fragen von Repräsentation und Identität, die im aktuellen Diskurs oftmals kritisch betrachtet werden. Wenn mein (trainierter, schlanker, zeitgenösssischer Tänzer*innen-) Körper beispielsweise einem massigen Körper gegenübersteht, wird dann dieser andere Körper nicht automatisch objektifiziert, gar fetischisiert? Wie kann ich verhindern, den Körper noch „fremder“ werden zu lassen und – im Gegenteil – eine emanzipatorische Kraft aus den Verkörperungsmethoden zu ziehen?

Velsingers praktische Recherche setzt ebenda an und versucht ihrem Forschungsgegenstand von „unfamiliar bodies“ mit einer Vielzahl von künstlerischen Strategien zu begegnen. Auf Basis zwei verschiedener Projekte („The Bodies We Are“ und „Let’s face it!“) gibt sie Einblicke in Probenprozesse und dabei entstehende Probleme und flankiert diese Berichte immer wieder mit philosophischen Einschüben, die Konzepte namenhafte Körper-Philosoph*innen (u.a. Merlau-Ponty, Butler, Hegel) einbeziehen oder historische Kontexualisierungen vornehmen und dadurch immer wieder neue Fragen aufwerfen, die das eigene künstlerische Tun voranbringen.

Obwohl das Buch aus einer wissenschaftlichen Perspektive schreibt, gelingt es Velsinger fast durchgängig einen zugänglichen Ton zu treffen. Vor allem die anschaulichen Berichte aus der Probenpraxis und damit die Offenlegung von Wissen aus zeitgenössischen Tanzproben, das sonst meist verborgen bleibt, machen Spaß bei der Lektüre. Hier liegt insgesamt das große Potenzial von Velsingers Studie, da es sich dabei um eine der ersten Publikationen im deutschsprachigen Raum handelt, die eine künstlerische Forschung in dieser Form vermittelt. Dabei ist meiner Meinung nach insbesondere die selbstkritische Perspektive, die Velsinger – gerade anhand der „gescheiterten“ Experimente erörtert – gewinnbringend. Womit ihre Studie schließlich auch auf methodischer Ebene dem neoliberalen Vermarktungssystem von Wissen etwas entgegensetzt. Eine schöne Pointe, die deutlich macht, welches Potenzial Artistic Research für wissenschaftliche Forschung hat und in Zukunft hoffentlich auch im deutschsprachigen Raum zunehmend haben wird!

Antje Velsinger: „The Bodies We Are (Not)“, transcript Verlag, 48,00 Euro

Buchcover The Bodies We Are (not)

„The Bodies We Are (not)“ von Antje Velsinger

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