Neues Generationen-Team
Raimondo Rebeck und Kristína Paulin übernehmen das Staatsballett Karlsruhe
Es ist ein dramaturgisch geschickt komponierter Abend, den das Kieler Ballett unter der Leitung von Yaroslav Ivanenko und Heather Jurgensen da zusammengestellt hat: Gezeigt werden „Kintsugi“ von Edvin Revazov, zwei Stücke von Antoine Jully („The Dying Poet“ und „Is This it?“) sowie „Gilded Reverie“ von Kristina Paulin. Vier sehr unterschiedliche Choreografien, die sich doch zu einem stimmigen Ganzen vereinigen. „Ein flüchtiger Augenblick“ ist der Titel dieses Abends – bei den Zuschauer*innen wird er jedoch zur bleibenden Erinnerung. Was nicht nur an den vielfältigen Choreografien liegt, sondern vor allem an den fantastischen Tänzer*innen.
Goldene Bruchlinien
Es geht los mit „Kintsugi“ von Edvin Revazov, der im Hamburg Ballett als Erster Solist tanzt, aber schon diverse eigene Werke choreografiert hat und zudem künstlerischer Leiter des Hamburger Kammerballetts ist, in dem Geflüchtete aus der Ukraine tanzen. Das japanische Wort steht für „Goldverbindung“, eine traditionelle fernöstliche Methode, um zerbrochenes Porzellan zu kitten und es mit den sichtbar gemachten goldenen Bruchlinien zu neuer Schönheit erblühen zu lassen. Revazov bezieht diesen Begriff nun tänzerisch auf das menschliche Miteinander. Nach einem Streit werden Freundschaften und Partnerschaften ja gern mal wie zerdeppertes Geschirr einfach weggeworfen, anstatt sich um einen Perspektivwechsel und wechselseitige Verständigung zu bemühen. Mit Kintsugi, das hier für das Zuhören und Anstreben von Problemlösungen steht, könnten sie jedoch wieder zusammengefügt und auf ein neues Niveau gehoben werden.
Edvin Revazov findet hier für die zehn beteiligten Tänzer*innen eine sehr behutsame und doch auch expressive Bewegungssprache, die vom Kieler Ensemble einfühlsam umgesetzt wird, kongenial ergänzt durch die Klaviermusik des zeitgenössischen Pianisten und Komponisten Leon Gurvitch (geb. 1979), die genauso sprechend ist wie der Tanz. Unter dem Titel „Musique Mélancolique“ hat er während der Coronakrise fünf feine melancholische Moments Musicaux komponiert, zwei weitere entstanden auf Bitten Edvin Revazovs exklusiv für seine Choreografie. Gespielt wird live auf der Bühne, wo der Flügel in großem Bogen durch die Szenerie kreist und so zum integralen Bestandteil wird. Hier zeigt sich wieder einmal, wie stimmig Musik und Tanz zusammenwirken können, wenn Komponist und Choreograf direkt miteinander arbeiten. Und so wird dieses Stück zu einem fast poetischen Plädoyer für mehr Geduld und Gelassenheit zwischen den Menschen, nicht nur in Paarbeziehungen.
Virtuosität und eine Hommage für Klimt
Danach folgen zwei kurze Stücke von Antoine Jully, dem Chefchoreografen und Ballettdirektor der BallettCompagnie Oldenburg. „The Dying Poet“ entstand dort schon 2022, für das Ballett Kiel hat Jully das Stück noch einmal neu gefasst. Es ist ein Pas de Deux zur gefälligen Musik des amerikanischen Komponisten Louis Moreau Gottschalk (1829–1869). Jully macht daraus eine Hymne an das klassische Ballett – aber nicht in seiner überzuckerten Version. Vielmehr arbeitet Jully mit viel Raffinesse die Kernelemente einer virtuosen Körperbeherrschung heraus, die Gulzira Zhantemir und Baikhadam Tungatarov aufs Feinste zelebrieren – ein Augenschmaus der Sonderklasse.
Das gilt nicht minder für das schon 2017 ebenfalls für Oldenburg choreografierte „Is This It?“ zu Musik des israelischen Sängers Asaf Avidan, ein temporeicher, spannungsgeladener Pas de Deux mit einem roten Plastikstuhl als einzigem Requisit, den Virginia Tomarchio und Ricardo Urbina bravourös zelebrieren.
Zum Schluss dann noch „Gilded Reverie“, eine von Kristina Paulin eigens für diesen Abend kreierte Hommage an den Maler Gustav Klimt zum Sounddesign von Davidson Jaconello. Dieser verwendete in Zusammenarbeit mit Paulin neben eigenen Kompositionen dafür Bruchstücke aus Mozarts Klavierkonzerten Nr. 9 und Nr. 22, Arvo Pärts „De profundis“ für Männerchor, Schlagzeug ad libitum und Orgel sowie „Aases Tod“ aus Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite. „Gilded Reverie“ – das sind vergoldete Träume, wie sie Klimt auf die Leinwand brachte. Paulin spürt dabei dem Schaffensprozess des Malers im Tanz nach – und seinen Beziehungen, denen er mit seiner Kunst ein Denkmal setzte. Natürlich spielt Gold dabei eine große Rolle – und Verena Hemmerlein, die den ganzen Abend ausstattete, umrahmt hier mit ihrem Bühnenbild und den ebenso einfachen wie raffinierten Kostümen das Ganze auf eindrückliche Weise. Noch einmal zeigen sich die Tänzer*innen hier in Bestform, allen voran Ricardo Urbina in der Rolle des Gustav Klimt.
Ein eindrücklicher Abend, der in der nächsten Spielzeit auch in Lübeck gezeigt werden wird und dem man eine weitere Verbreitung nur wünschen kann.
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