„Labyrinth der Träume“ von Yaroslav Ivanenko. Tanz: Ensemble

„Labyrinth der Träume“ von Yaroslav Ivanenko. Tanz: Ensemble

Einblick in eine Künstlerseele

„Labyrinth der Träume“ von Yaroslav Ivanenko – ein tänzerisches Portrait des surrealistischen Malers Salvador Dalí

Dalí war eine der schillerndsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Dem Ballett Kiel gelingt eine tänzerische Annäherung an seinen komplizierten Charakter auf höchstem Niveau.

Kiel, 08/11/2022

Wie er so dasitzt in seinem großen Sessel, der alte, spirrelige Mann, so einsam und verloren in seinem weiten Mantel aus Leopardenfell-Imitat (Dalí hielt sich einen zahmen Ozelot als „Haustier“…), gezeichnet von der Parkinson-Erkrankung – schon das rührt an, gleich zu Beginn des Abends, den der Kieler Ballettdirektor und Chefchoreograf Yaroslav Ivanenko dem spanischen Maler Salvador Dalí (1904 – 1989) gewidmet hat. Umgeben von weiß maskierten Gestalten erinnert sich dieser an sein langes, von vielen Wechselfällen geprägtes Leben. „Labyrinth der Träume“ hat Ivanenko diese Reise in das Seeleninnere des exzentrischen Surrealisten genannt – und tatsächlich gelingt ihm hier eine vielschichtige Erkundungstour, die sich chronologisch im Rückblick an den wesentlichen Stationen in Dalís Leben orientiert.

Umgeben von weiß maskierten Gespenstern der Vergangenheit taucht Dalí ein in seine Kindheit, erinnert sich an den strengen Vater, einen Notar, und die liebevolle Mutter; an das Kunst-Studium in Madrid, wo er sich mit Luis Buñuel und Federico García Lorca anfreundete. In den späten 1920er Jahren reiste er mehrfach nach Paris und lernte dort die zehn Jahre ältere Gala kennen, eine russische Immigrantin, die damals noch mit dem Dichter Paul Éluard verheiratet war, sich für Dalí jedoch von ihm scheiden ließ. Gemeinsam mit Gala fährt er in den 1930er Jahren in die USA und feiert als Mitbegründer der surrealen Malerei große Erfolge. Umgeben von Luxus und Reichtum führt er mit Gala ein opulent-exzessives Leben, das seine tiefe innere Einsamkeit jedoch nie ausgleichen kann. Umso größer der Schmerz, den Galas Tod ihm 1982 bereitet, auch wenn er längst nicht mehr mit ihr zusammenlebte und sie sich mit diversen jüngeren Männern umgab. Dalí stirbt 1989 allein und vereinsamt in seinem Schloss in Púbol in Spanien.

Yaroslav Ivanenko kommt es weniger auf den äußeren Werdegang des Künstlers an als auf sein Inneres, seine Zerrissenheit, seine Sehnsucht nach Erfüllung – in der Kunst ebenso wie in der obsessiven Liebe zu Gala, die ihm die Geschäfte führte und seinen Reichtum durch geschickte PR begründete. Der erste Teil des Abends dreht sich vor allem um Kindheit, Jugend und erste malerische Erfolge sowie die Begegnung mit Gala, mit der er in die USA aufbricht. Choreografisch ist das der schwächere Part – da wiederholt sich die Bewegungssprache noch allzu häufig. Sehr viel farbiger und sprühend vor Dynamik mit großartigen Ensemble-Szenen gelingt der zweite Teil. Da wandeln sich die Schatten der Vergangenheit dann geradezu in Furien, die sich des Geists und der Seele Dalís bemächtigen.

Einen großen Anteil daran hat das phänomenal tanzende gesamte Ensemble, dem man die exzellente Arbeit der früheren Hamburger Ersten Solistin Heather Jurgensen als Ballettmeisterin ansieht. Pedro Pires tanzt seinen Part als Dalí absolut makellos – dennoch darf er seiner Darstellung noch etwas mehr Magie und Exzentrik einhauchen, etwas mehr Selbstgefälligkeit auch, die dem spanischen Maler ja durchaus zueigen war. Leisa Martínez Santana ist eine hingebungsvoll-charmante Gala, die erst im zweiten Teil auch ihre herrisch-dominante Seite zeigt. Emma Francesca Lucibella konturiert Dalí als Kind mit großem Charme und tänzerischer Delikatesse. Christopher Carduck als alter Dalí vermittelt dessen Gebrochenheit überzeugend.

Einen großen Anteil am Gelingen des Stücks haben jedoch auch die anderen Beteiligten: allen voran Benjamin Reiners, in dessen Händen die musikalische Leitung lag und der das Philharmonische Orchester Kiel sicher durch die schwierige Partitur von Strawinskys „Feuervogel“ (Teil 1) und „Le Sacre du Printemps“ (Teil 2) führte. Das Orchester spielte die beiden anspruchsvollen Stücke grandios und wurde vom Publikum zu Recht gefeiert.

Nicht minder großartig das Bühnenbild von Eva Adler und die Kostüme von Angelo Alberto, die sich beide phantastisch ergänzten und vielerlei Anspielungen auf Dalís Kunst enthielten, ohne sie je zu kopieren oder zu plagiieren.

Mit dem „Labyrinth der Träume“ ist dem Ballett Kiel etwas gelungen, was es selten gibt: ein auf allen Ebenen – Tanz, Musik, Bühne, Kostüme – einander ebenbürtiges Gesamtkunstwerk. Bravo!
 

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