Ballettwelt im Umbruch
Ein pädagogisches Konzept für die Münchner Ballett-Akademie
„Next Generation“ am Opernhaus Zürich
Erste Adresse für den choreografischen Nachwuchs in Zürich ist das Opernhaus mit seiner alle zwei Jahre stattfindenden, hauseigenen Plattform unter dem neuen Titel „Next Generation“. Ballettdirektorin Cathy Marston setzt damit eine Tradition ihres Vorgängers fort. Vor rund 30 Jahren konnte sie selber an einem Workshop erste Stücke kreieren und möchte diese wunderbare Erfahrung an ihre Compagnie weitergeben. „Wie in jedem anderen Beruf gibt es eine Art Handwerk, Elemente, die man lernen kann und muss.“
Neun Mitglieder des Balletts Zürich und des Junior Balletts haben diesmal die Chance ergriffen, in ihrer Freizeit ihre eigenen Fähigkeiten zu erproben und eine erste Choreografie zu entwickeln. Dabei unterstützen sie die Tanzkolleg*innen des Ensembles, außerdem stehen Proberäume und Fundus zur Verfügung sowie Fachkräfte für Technik und Lichtdesign sowie der Dramaturg des Opernhauses. Den Abschluss bilden Aufführungen auf der Studiobühne. Diese fünf öffentlichen Abende von „Next Generation“ entpuppen sich als Hingucker und sind längst mehr als ein Geheimtipp und immer schnell ausverkauft.
In Kurzstücken von je 10 bis 15 Minuten zeigten die Choreograf*innen bereits eigenständige Sprachen und entwickeln spannende Narrative. Die Themen und Tanzstile sind so unterschiedlich, als ob der Tanz keine Grenzen hat. Sowohl Lustiges wie Dystopisches findet seinen Platz. Hervorstechend sind die kraftvollen Bewegungen und wie mit viel Freude und mitreissender Verve getanzt wird. An Bewegung wird nicht gespart. Ein klassischer männlicher pas-de-trois wird so lustvoll, nicht ganz ernst und temperamentvoll vorgeführt, dass es das gut durchmischte Publikum fast von den Sitzen reißt. Es herrscht die pure Freude am Tanz. Die Choreograf*innen dieser Ausgabe sind: Quentin Nabor, Max Richter, Lucas Valente, Jorge Garcia Pérez/Shelby Williams, Makani Yerg, Mlindi Kulashe, Marti Gutiérrez Rubi und Inara Wheeler. Man wird – hoffentlich – noch mehr von ihnen hören und sehen.
Ballettdirektorin Cathy Marston geht in ihrer Unterstützung für die kommende Generation von Choreografierenden noch einen Schritt weiter als bisher: „Es braucht eine Art Lehre, um in einem längeren Prozess alle Elemente dieses Berufs in Erfahrung zu bringen.“ In der nächsten Saison ist eine solche Lehre geplant: Zwei Tänzer*innen des Ensembles erhalten die einmalige Gelegenheit, von August 2024 bis Anfang 2025 in Intervallen zusammen mit dem am Haus tätigen Choreografen Kim Brandstrup die volle Bandbreite des Berufs kennen zu lernen.
Studiengang Master in Choregraphy an der ZHdK
Einen anderen Weg bietet die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) an: den zweijährigen Studiengang Master Major in Choreography. Zielgruppe sind ausgebildete klassische und zeitgenössische Tänzer*innen und Tanzschaffende mit Berufserfahrung, die sich für die Arbeit als Choreograf*innen qualifizieren wollen. Der MA-Lehrgang wurde 2018 konzipiert und hat zwei Vertiefungen: einerseits den MA in Choreografie und zweitens den MA Teaching and Coaching. Beide sind eng mit dem professionellen Tanztraining des Bachelor of Contemporary Art – ebenfalls an der ZHdK – verknüpft.
Verantwortlich für das Studium ist Professorin Friederike Lampart. Sie und ihr Dozent Jochen Roller sind überzeugt, dass – Talent vorausgesetzt – Choreografie lernbar ist. „Das ganze Wissen ist in den Körpern drin, aber es braucht auch den Input von außen mit sogenannten Tools. Choreografie ist ein Handwerk. Tools können zum Beispiel Bücher von bekannten Choreograf*innen sein.“ Basic Tools sind etwa der Umgang mit Zeit und Raum und der Dialog mit der Musik. „Von den Tools lässt man sich inspirieren“. Zu den Schwerpunkten der Ausbildung gehören Kommunikation, Reflexion und die Formulierung eigener Konzepte, aber auch Aufgaben wie Fundraising, Erstellen eines Budgets und Präsentation der eigenen Arbeit.
Friederike Lampert und Jochen Roller versuchen, die Bewegungskreativität der Studierenden zu fördern. Sie sind aber auch realistisch: „Es gibt wenig Talentierte, die ihren Platz in der Tanzwelt finden. Auch wir bringen nicht jedes Jahr einen Star heraus, das passiert vielleicht alle drei Jahre einmal.“ Sie erhoffen sich vom Master in Choreografie eine Breitenwirkung. Der Begriff Choreografie, respektive der Beruf müsste in der Allgemeinheit noch bekannter werden. Dazu gehören öffentliche Abschlussabende mit Publikum, Artists Talks mit Gästen, sogenannte Insights ca. 2 – 3 mal pro Semester und auch Interaktionen mit Tänzer*innen, Dramaturg*innen und Lichtkünstlern. Pro Studienjahr können nach Bewerbungsverfahren je vier Teilnehmende aufgenommen werden. Ein Semester kostet für in der Schweiz Wohnhafte CHF 720, für Auswärtige 1220.
BRÜCKEREI im Tanzhaus Zürich
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt das vor zwei Jahren gestartete Projekt BRÜCKEREI, das sich an professionelle und nicht-professionelle Tänzer*innen und Choreograf*innen richtet. Die Plattform wurde von Romain Guion und Caroline Finn gegründet, selber erfahrene Tanzschaffende, mit dem Ziel, Brücken zu bauen, und zwar „menschliche, künstlerische, pädagogische, institutionelle“. So wurde bei der Auswahl darauf geachtet, dass die Teilnehmenden einen unterschiedlichen Background, verschiedene Erfahrungslevels und Herkunftsländer hatten. Die Teilnahme für die ausgewählten Tänzer:innen und Choreograf*innen ist gratis.
Im Mai dieses Jahres fand die BRÜCKEREI zum zweiten Mal statt, diesmal unter der Supervision von Jonathan Burrows, britischer Choreograf, Lehrer und ehemaliger Tänzer. Während zweier intensiver Wochen erarbeiten 21 ausgewählte Tänzer*innen und drei Choreograf*innen im Tanzhaus Zürich eigene Konzepte zu verschiedenen Ausdrucksformen. Sie lernten, ihre Bewegungssprache und choreografische Praktiken zu erweitern und eine Kultur der Zusammengehörigkeit zu entwickeln.
Jonathan Burrows hat in den letzten zehn bis zwanzig Jahren einen Wandel im Tanzsektor festgestellt. Die Grenzen zwischen Tänzer*innen und Choreograf*innen seien fliessender geworden, was bedeute, dass mehr künstlerische Arbeiten in unterschiedlichen Kontexten geschaffen werden. „BRÜCKEREI bietet einen Raum, in dem eine Gruppe professioneller und nicht-professioneller Tänzer*innen und Choreograf*innen Wege entwickeln können, um ihre persönlichen Ideen und Konzepte kohärenter für ein Publikum umzusetzen. Sein Fokus liegt darauf, Choreografie nicht als Struktur zu verstehen, sondern das Thema oder die Atmosphäre durch die Arbeit selbst entstehen zu lassen. Er ermutigt die Tänzer*innen, selber auch Verantwortung für kreative Entscheidungen zu übernehmen.
Den Abschluss bildete ein „Informal Public Sharing“. Die bunt gemischte, multikulturelle Gruppe gab als Resultat ihrer zweiwöchigen kreativen Forschungsreise eine öffentliche Vorstellung ihrer drei sehr unterschiedlichen Arbeiten, eine Art Essays. Künstlerische Ambitionen und die Zusammengehörigkeit, das gemeinsame Teilen und Erleben von Tanz waren dabei zu spüren.
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