Nice to meet you!
Dresden-Premiere von „À la carte“ der Dresden Frankfurt Dance Company
Dresden Frankfurt Dance Company mit „Dance2Narration“ im Festspielhaus Hellerau
Dröger könnte sich eine Vorankündigung wohl kaum lesen: Da soll Tanz mit Narration (nicht etwa „Erzählung“) in Verbindung gebracht werden. Und das auch noch experimentell. Echt jetzt? Das klingt, als wäre Tanz als Ausdrucksform vergangenen Mittwoch erfunden worden. Leider beginnt der neue Abend der Dresden Frankfurt Dance Company im Festspielhaus Hellerau genau so: beliebig. Bis zur Pause bleibt das zwar so, aber wer diese zur Premiere dazu genutzt hat, die nächste Bahn in die Kneipe zu nehmen, hat einen emotionalen Sturm mit berückender Kongenialität verpasst.
Das Solo „Scarbo“ mit und von Manon Parent soll als Auftakt des Abends die riesige Tanzfläche des Großen Saals füllen. Das schafft sie leider nicht. Es ist ganz gewiss nicht so, dass Manon Parent das nicht könnte. Ihre Ausdrucksfähigkeit ist von beeindruckender Bandbreite. Mandafounis hat sein Ensemble wohlweißlich mit Charakterköpfen bestückt. Es ist aber die emotionale Beliebigkeit, mit der „Scarbo“ daherkommt. Der Titel greift den dritten Satz von Ravels „Gaspard de la nuit“ auf. Scarbo ist dort eine Art Kobold. In die Choreografie übersetzt wird dieser Aspekt eher nicht, worüber sich aber problemlos hinwegsehen lässt.
Ohne dramaturgische Entwicklung
Manon Parent zieht sich den Pianisten Gabriele Carcano aus dem Publikum an den Flügel. Er liefert die akustische Fläche, auf der Parent leider sofort ausrutscht. Im übertragenen Sinn. Gleich bei ihrem Auftritt lächelt sie grenzdebil ins Publikum. Ganz großes Kino, dem leider nichts folgt. Sie knattert los, um voller Ambition den riesigen Raum zu füllen; vergeigt wird hier aber von Anfang an jede Möglichkeit dramaturgischer Entwicklung. Wäre das eine Audition, man würde erleben, welche Ausdrucksfähigkeit dieser Tänzerin innewohnt. Die ist prima. Das Konzept aber? Man könnte fast von einem Konzept-Konzept reden. Mimisch und gestisch wirkt alles überladen, was im Fall einer so jungen Tänzerin wenig authentisch wirkt. Alles, was sie schafft, ist Ravels Noten zu illustrieren. Das ist dünn, sehr dünn. Narration? Fehlanzeige.
Was beliebig improvisiert wirkt, kippt geradezu ins Peinliche, wenn sich Parent einen Rucksack umschnallt und damit plötzlich wie „Dora (the Explorer)“ durch die Lande zieht. Fast wünscht man sich, sie würde endlich mal stillhalten. Wenn sie es schließlich endlich tut, sich am Rand der Bühne nach dieser Verausgabung über zwei Zinkeimern auf wenig ästhetische Weise ihrer „Wiederherstellung“ widmet, setzt sie einen narrativen (?) Bruch, der eine Vollbremsung darstellt. Aus der ersten Reihe nimmt sie sich einen Stuhl, stellt ihn auf die Bühne, und trinkt darauf sitzend etwas Wasser aus einer Flasche. Stumm bietet sie dem Publikum Schokolade an. Diese aufgesetzte, vordergründige Inbeziehungsetzung zum Publikum hat sie da vorher schon auf den Rängen durchgeturnt. Partizipation und Interaktion mit den Publikum wird man bei dieser Company zukünftig garantiert weiterhin erleben.
Forsythe-Anspielung
Was Manon Parent dann aber macht, ist frech und schlampig: Sie erzählt davon, sie habe als 11-Jährige einen Freund gehabt, der nach Absetzen seiner Schizophrenie-Medikamente Suizid begangen habe. So weit, so unschön. Dann aber beginnt sie Gavin Bryars „Jesus‘ blood never failed me yet“ zu singen. Langsam rückt die Einspielung dazu, die Aufnahme des Gesangs eines Pariser Clochards, das Lied, das Forsythes Arbeit „Quintett“ in die DNA aller Tänzergenerationen eingeschrieben hat. Forsythe hatte es verwendet, um seiner damals an Krebs sterbenden Frau ein Denkmal für das Leben zu setzen.
Diese Parallelsetzung hier ist nichts anders als plump, weil sie sich auf den Effekt und das tanzhistorische Wissen darum stützt, aber keine eigene künstlerische Aneignung mit sich bringt. Das Umstülpen des hellen Tanzbodens auf seine dunkle Unterseite bleibt dann nur leere Geste. Währenddessen ersäuft Bryars ikonografische Endlosschleife in den nächsten Klaviertönen. Jetzt muss Debussy dran glauben. Zwar überzeugt Parent dann am Ende noch mit sensibel interpretiertem Gesang, aber das reißt nichts mehr. Ihr Solo hätte eine bessere dramaturgische und inszenatorische Führung gebraucht.
Wer ist Publikum, wer Künstler?
Gott sei Dank liefert der zweite Teil nach der Pause einen überbordenden Ausgleich. „Bis.N.S. (as usual)“ beginnt mit einem Sturm. Das Ensemble stürmt die Tanzfläche und grölt und klatscht und feiert. Alle feiern Nina Simone. Die akustische Einspielung ist der Mittschnitt der Zugabe Simones bei ihrem Auftritt während des Montreux Jazz Festivals 1976. Mit diesem Enthusiasmus gelingt es den Tänzerinnen und Tänzern, klare räumliche wie auch konzeptionelle Zuordnungen zu unterlaufen: Wer ist Publikum, wer Künstler? Das Publikum im Saal schaut dem Publikum auf der Bühne zu, das das Publikum im Saal anzuhimmeln scheint. Das ist kein Zufall. Das ist Mandafounis‘ Credo. So viel wurde schon mit dem ersten Abend „À la carte“ deutlich.
Diese Begeisterung für die Kunst Nina Simones übersetzt Mandafounis in eine laute, raue Bewegungssprache, die gleichzeitig ungehobelt und komplett durchdacht wirkt. Chaotisch, hektisch, „zu“ schnell. „Schön“ sollen die Anderen. Was unkoordiniert wirken mag, ist streckenweise in seiner Intensität und Dichte schwer goutierbar. Und genau deshalb genau richtig. Denn alles ist deutlich sensibel arrangiert, jedes Solo, jedes Duo. Alle tanzen, auf ihre Weise, gemeinsam mit Nina Simone.
Die Pianistin ist da, aber woanders
Währenddessen steht der Flügel, der für „Scarbo“ noch an den Rand der Tanzfläche gerückt war, zentral in der Mitte der Tanzfläche. Aber dieses Mal ohne Pianisten. Die Pianistin sitzt in den Lautsprechern, „hinter“ der Bühne. Nina Simone ist da, aber ist dabei ganz woanders.
In dieses Wimmelbild hinein macht plötzlich das Gerücht die Runde, David Bowie wäre anwesend. Diese spielerische Auseinandersetzung mit der Zeitlichkeit der Vergangenheit bleibt hier nicht ohne Selbstzweck. Mandafounis dreht die Sache noch ein Stückchen weiter in die Reflexion, indem er sein Ensemble schwarze Wände aufstellen lässt, die Lichtgassen und damit Auf- und Abgangsmöglichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer bilden, allerdings perspektivisch so gedreht, dass für das Publikum der Backstage-Bereich genauso einsehbar ist, wie die Abläufe „auf der Bühne“. Damit schließt sich der Kreis zum Titel: Business as usual. Alle machen einfach nur ihren Job, Entzauberung der Kunst inklusive.
Am Schluss vermischt sich der Applaus für Nina Simone mit dem des im Saal anwesenden Publikums. Grenzen? Braucht niemand. Damit bietet diese „Chaostruppe“ mit einem zeitgemäßen Ansatz weit mehr als Tanz, ohne den Tanz an den Rand zu drücken. Was genau das heißt, lässt sich sicherlich mit den nächsten Arbeiten weiter austarieren.
Man ist von der Performance Scarbo noch völlig betroffen/benommen, freut sich, dass endlich eine Morgenröte des Neuen anbricht, in dem persönliche Ausdruckstiefe, avanciertes Bewegungsmaterial und Freiheit des Augenblicks, des Informellen eine radikal andere Synthese bilden - und stößt dann auf diese abgrundtörichte Kritik, die nichts verstanden hat. MP hat sehr wohl den Raum beherrscht, Tiefe und Ecken ausgelotet, das Territorium durch Aufreißens des Belags in zufällige Form gefaltet und farblich verkehrt, die Basis des Raumes dekonstruiert. Ravels Musik ist keine "akustische Fläche", sondern mehrdimensional gefaltet."grenzdebil": beleidigend, weil hier mit einem Behinderungsgrad hantiert wird. "Losknattern" und "vergeigen": sprachlich Bierbankniveau. "überladen“? Es geht um emotionalen Ausdruck auf Basis kontrolliert beherrschter Technik, gepaart mit improvisatorischer Freiheit, der nie ins Pompöse, Monströse abgleitet - nie und nirgends. Dass MP Ravel "illustriert" - eindeutig falsch. Wenn es z.B. zum Ganztonskalenklimax in Ondine kommt, nimmt MP sich total zurück; nur wenige Momente, wo sie auf eine punktuelle musikalische Betonung adäquat reagiert - korrespondierende Markierungen in einem ansonsten absolut freien Bewegungsduktus. Das ist stark, sehr stark, weil es der komplexen Musik eine kongenial komplexe Kraft der Bewegungen entgegensetzt, aber niemals illustrativ, sondern als kritischer Respons. „Durchgeturnt“: das herabwürdigendste Verrisswort, das man sich über Tanz ausdenken kann. Nichts davon ist wahr. Eine völlige Unfähigkeit d.Kritik, die Bewegungssequenzen ernsthaft analytisch zu erfassen. „Frech und schlampig“ und „So weit, so unschön“ (bezogen auf die Geschichte des Suizids des Freundes!): Der Jargon - unsäglich, alles verkennend: Es geht im Stück um Illusion des Ich, um Spaltung, De(kon)struktion – und um Befreiung, nicht etwa um Neutralität, Ordnung und Konsistenz. Fazit: ein journalistischer Affront - blockierend, beleidigend, reaktionär.
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