„Late Night Dada“ an der Residenz Leipzig von Hermann Heisig: Ensemble

Gegen allen Sinn

In „Late Night Dada“ an der Residenz in Leipzig wird Hermann Heisig zum anarchischen Zeremonienmeister

Postidentitäres Theater? Post-Drag-Performance? Fest des Unsinns? Es ist gar nicht so leicht, Hermann Heisigs „Late Night Dada“ in eine Schublade zu stecken. Wozu auch?

Leipzig, 15/05/2024

„This is nothing. This is what it is. This is not for nothing.“ Hermann Heisig steht nach über zwei Stunden auf einer doppelseitigen Tribüne, auf deren Stufen an beiden Seiten die Zuschauenden sitzen und zu ihm hoch schauen, und spricht diese Sätze, die wie eine Quintessenz dieser als Reise angekündigten Veranstaltung wirken. Fast zweieinhalb Stunden dauert dieses „Late Night Dada“ , das am 14. Mai in der Residenz des Schauspiel Leipzig Premiere hatte. Anja Müller, Elpida Orfanidou, Thomas Proksch und Hermann Heisig, der auch als künstlerischer Leiter fungiert, laden hier zum infernalistischen Exzess.

Lea Kieffer und Timothée Nay haben drei Räume eingerichtet. Das Bühnebild wirkt auf den ersten Blick, als wären die beiden wild durch den Fundus des Schauspiels gerannt und hätten sich alles gegriffen, was bei drei nicht im Regal war. Große Fotoleinwände trennen die Räume ab, überall steht Kram rum, irgendwann taucht eine Chaiselounge auf, es gibt eine kleine Bühne mit Schlagzeug, einen Videoraum, in dem ein Reisevideo in französische Industriegebiete gezeigt wird. Das ist nach der launigen Einführung in bestem Denglisch die erste Station dieser am Dadaismus geschulten Performance. Während die Bilder über die Leinwand flackern, greifen die vier Performer*innen in ihren wild zusammengewürfelten Kostümen zu Instrumenten und kreieren live die Tonspur, und schnell wird klar: Wer hier eine stringente inhaltliche Ebene sucht, der wird enttäuscht.

Dadaismus als anarchische Kraft

Stattdessen setzen Anarcho-Choreograf Heisig und seine Crew ganz auf die dadaistische Kraft des Moments. Dada wir hier nicht historisch, sondern als zeitgenössischer Ansatz gelebt. Das Bedeutete und das Beteutende begeben sich hier nicht in ein immer währendes Wechselspiel, sondern fallen einfach zusammen. Ohne Maß und Mitte gehen die vier voll in ihren exzentrischen Figuren auf, üben sich in wilden Drum-Performances, bei der noch der einfachste Vier-Viertel-Takt zur maßlosen Herausforderung gerinnt, bloß um dann zu einer Sambaband auf Koks zu werden, die wild aber gekonnt auf ihre Instrumente eindrischt.

Hinzu kommt die Feier des Drags ganz ohne irgendwelche politischen Aufladungen. Heisig selbst performt stellenweise in einem wunderschönen Hosenkleid mit tiefem Ausschnitt und zwei wallenden Beinen irgendwo zwischen Freddy Mercury und Maria Callas. Postidentitäres Theater, Post-Drag-Performance, eine Feier des Unsinns, ein Leerlaufen der Bedeutung und in der Folge eine Feier des Augenblicks und der Welt als solche. Die vier Performer*innen und ihre drei Unterstützer*innen bei der Bühnenarbeit schaffen es, pure Bühnenenergie in die Welt zu blasen und ihr Publikum in Schwingung zu bringen.

Berührend wahnsinnig

Dabei gelingen auch berührende Szenen, etwa wenn Anja Müller in einer riesigen Schnecke verschwindet und dann von Thomas Proksch fast schon zärtlich interviewt wird oder Elpida Orfanidou allein in adliger Pose auf der Chaiselongue zu singen beginnt. Denn bei aller anarchischen Dada-Energie, allem ausexerziertem Bühnenwahnsinn folgt der ganze Abend einem dramaturgischen Rhythmus, der gezielt durch ein ganzes Wellenbad von Emotionen führt. Staunend entlässt er die Besuchenden nach einem letzten Gewaltmarsch in die sommerliche Nacht, und man begreift zwar nicht, was das alles gerade war, aber dass es wertvoll war, steht bei aller Sprachlosigkeit außer Diskussion.

 

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