Schlicht und ergreifend
In Heidelberg zu Gast: Solo-Tanz-Theater made in Stuttgart
White Noise, das Hintergrund-Rauschen, wie es zum Beispiel in einer Flugzeugkabine zu hören ist, gilt als probates Beruhigungsmittel. Der Soundteppich, den der Brasilianer Luca Seixas für seine Choreografie „Incant“ akribisch zusammengemixt hat, bewirkt eher das Gegenteil. Dieses Techno-Rauschen mit Anklängen an Konflikte zwischen Industrie und Natur kriecht ebenso effektiv ins Gehirn und setzt allmählich die Zeitwahrnehmung außer Kraft, fungiert allerdings eher als Würgegriff, denn als Beruhigungspille. Der Choreograf hat die Wirkung scharf kalkuliert: Schließlich muss der Sound ein Stück zusammenhalten, in dem nur drei Akteure ziemlich große Themen in gleichbleibender Langsamkeit verhandeln – und in dem weitestgehend improvisiert wird.
Das Stück „Incant“ (Beschwörung) gehört zur Festival-Reihe D-Dance, in der internationale Stücke gezeigt werden, die alle eins gemeinsam haben: Ein gewichtiger Teil der Produktionen ist während einer Residenzzeit im Choreografischen Centrum entstanden – räumlich direkt an die Hebelhalle angrenzend. Hier haben auch Luca Seixas und seine beiden Mit-Tänzerinnen Clara Cafiero und Reiko Ohta kaum an Schritten gefeilt, sondern die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie über Blicke, Mimik, Gesten und Körpersprache so perfekt Kontakt halten können, dass sie tatsächlich miteinander – statt jeder für sich – improvisieren können. Umso wirkungsvoller sind die durchchoreografierten Ensembleszenen, in denen die Drei eindringliche lebende Skulpturen bilden.
Kinder sind kleine Meister der wortlosen Kommunikation, und beim spielerischen Flow von Kindern hat sich Luca Seixas einiges abgeschaut. Auf der Bühne verdeckt eine große Plane einen Berg Zivilisationsmüll, den die Truppe am Ende auf poetische Weise zweckentfremden und dadurch neuer Bestimmung zuführen wird – ein Upcycling der besonderen Art. Davor ist eine Spirale aus Steinen und kleinen Fundstücken ausgelegt. Irgendwann werden sie von einer Tänzerin akribisch auf liegenden Körpern ihrer Mitstreiter aufgereiht – ein Ritual, dessen Sinn verborgen bleibt wie bei vielen intensiven Beschwörungen per Körpersprache. Aber am Ende ist die Suche nach Bedeutung zwar universell, aber das Finden bleibt ganz individuell. Dieses experimentelle Tanzstück mit einer ungewöhnlichen, eigenständigen Handschrift bietet einen Raum, in dem eigene Gedanken widerhallen können.
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