„Vielseitig und außergewöhnlich“
Tanzdirektor Guido Markowitz erhält Kulturpreis der Stadt Villach
Die mehr als 60 fest an Stadt- oder Staatstheatern in Deutschland etablierten Tanzensembles sind eine weltweite Besonderheit. Für die vielfältigen Formen des aktuellen modernen Tanzes bieten sich in den kleineren, flexiblen Tanzsparten abseits der großen Vorzeige- Ensembles oft besondere Chancen. Eine Kompanie kann viel mehr sein als eine per Casting zusammengewürfelte Gruppe von Tänzer*innen; aber dieses „Mehr“ ist nicht zu haben ohne kontinuierliche gemeinsame Probenarbeit unter einigermaßen konstanten Bedingungen. Gerade zeitgenössischer Tanz erfordert regelrechte Forschungsarbeit mit dem eigenen Körper.
Die Schmuckstadt Pforzheim leistest sich ein Drei-Sparten-Theater mit einem fünfzehnköpfigen Tanzensemble. Hier hat Ballettdirektor Guido Markowitz in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit seinem Co-Direktor und Trainingsleiter Damian Gmür ausgiebige Entwicklungsarbeit geleistet. Seit dem Sommer leitet Gmür den Studiengang Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, aber für eine Kreation im aktuellen zweiteiligen Pforzheimer Tanzabend kehrte er noch einmal an seine frühere Wirkungsstätte zurück. Den Eingangspart hat Guido Markowitz der neuen Trainingsleiterin des Ensembles, Mar Rodríguez Valverde, anvertraut. Die Vertrautheit mit den Tänzer*innen war ein deutlicher Gewinn für diesen Abend.
„RAUSCHBOLÉRO“ – der Titel ist Programm. Der „Bolero“ von Maurice Ravel ist vielleicht das populärste Musikstück der sogenannten E-Musik. Laut Statistik wird die Komposition aus dem Jahr 1928 alle fünfzehn Minuten irgendwo auf der Welt gespielt – innerhalb und außerhalb von Konzertsälen. Dabei zielt der „Bolero“ von Anfang an auf den Tanz: Die Tänzerin Ida Rubinstein hatte bei Ravel einen spanischen Tanz bestellt. Was er dann ablieferte, war selbst in den eigenen Augen eine Provokation, ein „reines Orchesterstück ohne Musik“. Die ebenso simple wie revolutionäre Struktur setzt auf das Zusammenspiel von Wiederholung und stetigem Crescendo. Der vibrierende Grundrhythmus, die Wiederholung der eingängigen Melodie und die langsame Steigerung der Instrumentenzahl bauen in rund fünfzehn Minuten eine hypnotische Spannung auf – ein Pendant zu knisternder Erotik. Auf diese Wirkung hatte nicht nur Ida Rubinstein bei der Uraufführung gesetzt, sondern zahllose Choreograf*innen nach ihr. Die Musik mit ihrer Intensität und ihrem Bekanntheitsgrad ist sozusagen eine sichere Bank für einen Tanzabend – mit einem entscheidenden Nachteil: Sie dauert nur fünfzehn Minuten.
In Pforzheim führte der Klang- und Videotechniker Fabian Schulz einen elektronischen Diskurs mit dem Ohrwurm. Im Eingangsstück „Entre“ unterläuft Mar Rodríguez Valverde mutig die musikalische Erwartungshaltung und nutzt statt eines treibenden elektronischen Beats „Soundscapes“ von Fabian Schulz – Klanglandschaften, in denen nur ganz gelegentlich musikalische Bolero-Zitate aufblitzen wie eine ferne Erinnerung. Das doppeldeutige „Entre“ heißt so viel wie „zwischen“, aber auch „tritt ein!“; ihr ganzes Stück ist eine Einladung, sich auf die langsame Entstehung eines individuellen und doch gemeinsamen Bewegungsflusses ohne ekstatisches Finale einzulassen. Drei Tänzerinnen und zwei Tänzer sind dafür die ganze Zeit über auf einer betont leeren Bühne – nur eine Art schwebendes weißes Zelt mit beweglichen von einer Windmaschine angetriebenen Bahnen für einen unsicheren Rückzugsort.
Eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem musikalischen Original führte Fabian Schulz im zweiten Teil „Boléro“, für den Damin und seine Partnerin Aozane Bilibio gemeinsam verantwortlich zeichnen. Die elektronische Komposition greift kompositorische Elemente Ravels auf und – die langsame Steigerung und den rhythmischen Puls. Die Bühne ist ein Hingucker: viel raffiniertes Licht, dominiert von einem schwebenden Beleuchtungsgeviert, viel Bühnennebel und Auftritte durch einen tiefen Spalt im Hintergrund. Anfangs wird vor dem Eisernen Vorhang Nietzsche zitiert, später schleppt ein nackter Tänzer sein Klamottenbündel mit dem Rücken zum Publikum mit quälend langsamen Schritten, bis er buchstäblich zum Erliegen kommt. Die Tänzer*innen – zunächst in expressiven Duos und Trios – atmen förmlich den nervösen Geist der zwanziger Jahre. Es ist die Gleichzeitigkeit der Gegensätze, an denen sich die Choreografie förmlich abarbeitet; das ganze Bühnengeschehen im Blick zu halten, fast unmöglich.
Nach einem abrupten Stopp erklingt er dann doch, der Original-Bolero, und natürlich ist das ein choreografischer Fall für einen Gruppen-Auftritt voll geballtem Pathos, in denen Einzelne von der geballten Energie quasi aus den Unisono-Formationen geschleudert werden. Große Gesten, verzerrte Mimik, stumme Schreie, extreme Bewegungen, aber auch Momente der Euphorie: Die Kraft dieser Musik hat die ganze Welt erobert, und das soll man hier zu spüren bekommen. – Die ungewöhnliche zeitgenössische Auseinandersetzung mit einem Tanz-Klassiker wurde in der zweiten Vorstellung freundlich aufgenommen, die Pforzheimer Tänzer*innen gebührend beklatscht.
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