Den Tanz hören
„Moving Out Loud“ von Britt Hatzius im EinTanzHaus Mannheim
„Restrictions“ von Vivian Schöchlin und Valentina Jaffé im Mannheimer Langer
Draußen vor dem großen Schaufenster des Kreativraums Langer auf der Mannheimer Langstraße sitzt die Performerin Vivian Schöchlin. Drinnen steht das Publikum verteilt auf zwei Räume, dem ebenerdigen und einem oberen mit großer Durchreiche, aus der man ungehindert den unteren Raum überblicken kann. Ich blicke auf das Schaufenster, ohne die Performerin draußen zu sehen, denn an der Scheibe bleibt mein Blick hängen bei den zwei Arbeiten der Malerin und Objekt-Künstlerin Valentina Jaffé – es sind auf Seidenpapier mit Tinte und Gouache gemalte Formen zu sehen, farbige Formen, die dem Weiß des Papiers mehr Raum und mehr Perspektive verleihen. Für die Performance „Restrictions“ sind sie mit einem Video überblendet, das ihre Qualitäten auszudehnen scheint. Sieht man genau hin, muss es sich auf den Videos von Schöchlin um einfarbige Stoffe handeln, die erst durch die Bildformen von Jaffé zum Muster belebt werden. Hände schieben den Stoff zusammen, seine Falten ergeben neue Landschaften oder sie dehnen ihn wieder auseinander in die bemusterte Fläche. Dazu ergänzt ein weiteres Video auf der stirnseitigen Wand den Eindruck von Fläche, Körper und Landschaft. Es zeigt menschliche Haut, auch von Händen berührt und in Falten geschoben oder geknetet.
Um Grenzen und Einschränkungen geht es in „Restrictions“, dem dritten Teil der Performance-Serie Endless//Boundless. Wie die anderen beiden Teile „Wo ich jetzt stehe“ und „The space in between“ wird auch hier wieder ein neuer Aufführungsraum mit entsprechend anderer Architektur erfahrbar gemacht. In beiden vorherigen Teilen hat die Bewegungskünstlerin Schöchlin den direkten Kontakt mit den Papierarbeiten von Jaffé gesucht; ihren mobilen Körper verbunden mit den beweglichen einzelnen Kunstblättern, die jeweils eigene Raumverhältnisse zeigen mit ihren farbigen Formen neben weißen Leerstellen. Im Zusammentreffen entstehen ungewöhnlich neue, spannungsreiche Körperlandschaften – Mensch, Bilder und Räume im Raum. „Restrictions“ zeigt die Grenzen schon allein dadurch auf, dass die Bilder von Jaffé unberührt bleiben von der Performance der Künstlerin Schöchlin. Sie sind an die Scheibe geklebt und hängen dort im typischen Setting für Kunstwerke. Und als würden sie sich selbst nicht genügen, werden sie noch dazu von einem weiteren Medium, dem Video, überspielt. Das allerdings ist der Clou, denn es geht hier um die Berührung der Medien Malerei und Video-Kunst. Und auch darum, dass sie uns als Betrachterin und Betrachter die Berührung und das Berührt werden medial vermitteln. Dazu platziert sich Schöchlin wie eine Gestalt, die zur Skulptur wird im Raum mit den Medien. Während sich die Zeit der Performance auszudehnen scheint, können die Blicke aller im Raum wandern, von welcher Position auch immer. Einschränkungen und Grenzen sind der Wahrnehmung eingeschrieben. Wir können nicht alles auf einmal erfassen. Und das, was wir wahrnehmen, folgt der eigenen Auswahl: Video über Malerei oder gemusterter Stoff oder beides; Film über menschliche Haut, die berührt und geformt wird oder ein Film über diverse Landschaften aus Haut oder beides. Effekt und Spiel, Material und Form, Körper und Raum sind gleichberechtige Elemente, die sich den Blicken anvertrauen oder entgegenstellen.
Jetzt erst sehe ich hinter der Scheibe draußen die Performerin – ihr weißer Rücken bildet eine Fläche unterhalb der Bilder von Jaffé. Als sie aufsteht und parallel zur Scheibe stehen bleibt, bildet ihr Körper zu den Bildern eine Linie von der Schulter abwärts. Dann betritt sie den Raum, nimmt in ihm einen Ort ein und ist ein weiterer Körper zwischen Video, Malerei und allen auf sie konzentriert Anwesenden. „So far... so far... so close bist du“, spricht die Performerin. Wir lauschen den Wörtern, greifen nach ihrem Sinn und blicken derweil auf Faltungen von Haut, Stoff und Bildern. Dann bewegt sich Schöchlin in den oberen Raum und steht an der Durchreiche. Hier legt sie ihren Kopf und Oberkörper mit ausgestrecktem Arm auf der schmalen Fläche der gemauerten Wand ab. Ihr Körper wird zur Landschaft im Raum. Oder ist er ein Objekt, wenn sie wieder aufgerichtet einen Arm über die Durchreiche entlang der Wand vom unteren Raum fahren lässt und den anderen Arm in der Rahmung aufstellt, den Kopf dreht und wie eine Figurine einfriert? Erst als Schöchlin anfängt zu singen, transformiert sie die Performance in eine weitere Dimension. Alles, was die Anwesenden vorher auf Distanz gehalten hat – das endlos geloopte Video mit Hand auf Haut, die überblendete Kunst, die dem immer wieder neu gefalteten Stoff zum Muster verhilft, der Körper als Skulptur im Raum – wird schlagartig in die Nähe gezogen, eine zutiefst menschliche Nähe. „Ain’t no mountain high enough, ain’t no valley low enough, ain’t no river wide enough...“ hebt die Künstlerin mit ihrer Stimme leise, fast zögerlich zu singen an und wiederholt den Liedtext, den Marvin Gaye und Tammy Terrell 1967 berühmt gemacht haben, immer wieder noch einmal von vorne. Es ist der zarte eindringliche Klang der Stimme, der uns unmittelbar berührt, uns mitten ins Herz trifft.
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