Körper-Landschaften
„Restrictions“ von Vivian Schöchlin und Valentina Jaffé im Mannheimer Langer
Die verschlungenen Pfade des staatsfinanzierten russischen Ballettexports
Klassisches Ballett ist ein beliebter Weihnachtsartikel. Alle Jahre wieder touren Ensembles mit den bekannten Ballettklassikern – allen voran „Der Nussknacker“ und „Schwanensee“ - durch Deutschland. Für Russland mit einem Selbstverständnis als Wiege des klassischen Spitzentanzes war und ist Ballett ein zentraler Kulturexport-Artikel. Insbesondere die beiden bekanntesten Ensembles mit großer Tradition und anerkannten Ausbildungsstätten (das Bolschoi Ballett in Moskau und das Mariinsky-Ballett in St. Petersburg) sind internationale Zuschauermagneten. Einen etwas kleineren Anteil am Erfolgskuchen sicherte sich ein in den 80er Jahren in Moskau mit klarer Zielsetzung der Repertoirepflege gegründetes Ensemble: das unter wechselnden Namen firmierende russische Staatsballett. Heute lässt es sich zum Beispiel zeitgemäß auf Instagram unter „moscowstateballet“ finden. Die Finanzen der Kompanie werden vom russischen Kultusministerium budgetiert. Das heißt auch: Gastspiele mit Tänzer*innen aus dieser Kompanie spülen Devisen in die russische Staatskasse.
Das war vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kein Problem – heute dagegen schon. Viel deutet allerdings daraufhin, dass genau dieses „No Go“ gerade höchst graziös auf Spitzenschuhen gezielt umgangen wird, und das z.B. auch in Mannheim. Das „Grand Ballet Classic“, das mit insgesamt vier Vorstellungen („Nussknacker“ und „Schwanensee“) im Mannheimer Capitol gastierte, hat verblüffende – um nicht zu sagen verstörende – Übereinstimmungen mit dem russischen Staatsballett.
Um das herauszufinden, muss man allerdings sehr tief graben. Das „Grand Ballet Classic“ mit seinem vage englisch-französischen Namen tut jedenfalls alles, um seine Herkunft und die seiner Darsteller*innen zu verbergen. Entgegen allen Gepflogenheiten in der Kulturwelt geben weder Werbung noch offizielle Internetauftritte oder das Programmheft den leisesten Hinweis auf die Mitwirkenden; selbst die abgebildeten Szenenfotos sind so bearbeitet, dass sich garantiert kein Wiedererkennungswert einstellen kann. Dennoch haben Recherchen von Alexander Triesch von der „Rheinischen Post“ nach einem Auftritt der Truppe in Duisburg ergeben, dass Liudmilla T. und Sergey S. Hauptrollen im „Nussknacker“ spielten. Beide werden auf dem Internetauftritt des „Moscow State Ballet“ als Solisten gelistet.
Es lässt sich nachverfolgen, dass die aktuell tourende Kompanie mit dem früheren „Moskau Classic Ballet“ identisch ist. Die Frankfurter Event-Agentur Shooter Promotions organisierte 30 Jahre lang Tourneen dieser Truppe im gesamten deutschsprachigen Raum. Nach dem russischen Angriffskrieg sagte Shooter Promotions die bereits vereinbarte Tournee zum vorigen Jahreswechsel ab, stellte ein entsprechendes Statement auf die Website und nahm für die laufende Spielzeit eine Kompanie aus Kiew unter Vertrag. Das „Grand Classic Ballet“ wird jetzt von einer Berliner Agentur auf Reisen geschickt, deren Inhaber auf der Seite des Moskau State Ballet als Repräsentant für Europa aufgeführt wird. Auf Nachfragen der Rheinischen Post gab es beschwichtigende Auskünfte vom hauseigenen Anwalt. Die Nachfragen der RNZ bei der Pressestelle des Mannheimer Capitols über die Herkunft des „Grand Classic Ballet“ blieben bislang unbeantwortet.
Die „Schwanensee“-Aufführung im Capitol ist genauso, wie man sie von einer solchen Produktion erwartet: gespickt mit einigen technischen Bravourstückchen der Solistenriege und gezeichnet von leichter Tour-Müdigkeit. Natürlich ist das Capitol mit seiner kleinen Bühne ein denkbar ungeeigneter Aufführungsort für Bühnentanz. Zwanzig Schwäne behindern sich da schon ein wenig gegenseitig, große Sprünge wurden schon mal von den Kulissen-Vorhängen ausgebremst. Ansonsten kommt das Publikum mit der Sehnsucht nach der schönen heilen Ballettwelt im möglichst unangetasteten Stil des vorvorigen Jahrhunderts auf seine Kosten. Dennoch springt kein große Funke über – der Beifall war höchstens freundlich. Höchst befremdlich wirkt dagegen die Tatsache, dass zum Schlussapplaus nicht einmal mehr alle Mitwirkenden auf die Bühne dürfen – so, als sollte man die Kompanie nicht noch einmal im Ganzen und aus der Nähe sehen können.
Die ästhetische Rolle rückwärts in Richtung auf eine sogenannte reine, unverfälschte Tanzkunst, unangefochten von jeglichem Anspruch auf Modernisierung oder gar Zeitgenossenschaft, hat pikanterweise der russische Diktator Wladimir Putin unlängst zur Chefsache gemacht. Für die Vorzeigetheater Bolschoi und Mariinksky gibt es jetzt Tourneen in russlandfreundliche Länder. Könnte das „Grand Classic Ballet“ den Versuch darstellen, ein staatliches Moskauer Ensemble quasi durch die Hintertür weiterhin in Deutschland auf Tour zu schicken?
Auf der Seites des „Grand Classic Ballet“ wird immerhin Hasan Usmanov als Direktor der Kompanie Classical Russian Ballet genannt. Das russische Staatsballett tourt schon seit Jahrzehnten durch zweitklassige Messehallen und Bühnen. Das nicht informierte Publikum denkt bei Staatsballett quasi an Bolschoi und Mariinsky und zahlt sehr hohe Presie für eine Qualität weit unter der unserer Staatsballette. Laut Tourplan sind die quasi jeden Tag woanders. Was das für technische Einrichtung, Proben vor allem aber auch Ruhephasen usw bedeutet, ist da klar. Mit unserem Arbeitsrecht wäre das wohl nicht vereinbar.
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