„Langes Wochenende“ von Sanfte Arbeit/Elsa Artmann, Tanz: Anne-Lene Nöldner, Diana Treder und Elsa Artmann (v.l.n.r.)

Kollegiale Zärtlichkeit der freelance lover

Sanfte Arbeit/Elsa Artmann mit „Langes Wochenende“ in der Tanzfaktur Köln

Ein Blick auf künstlerische Selbstständigkeit mit dem Gedanken kollegialer Zärtlichkeit und das Versprechen auf Schönheit und Selbstverwirklichung. Belastbarkeit und Versagen? Ein Abend der Verhandlung zerfließender Grenzen zwischen beruflichen und persönlichen Beziehungen.

Köln, 24/11/2024

Von Swantje Kawecki

„Ich die Arbeit an dich die Person. Die Arbeit tanzt auf deinem Schoß und sagt: I will shape you. How I’m in love with the shape of you. I’ll be your most edgy feature. How I will feed you joy. How I will feed you joy and exhaustion. This is how I will feed you joy despite exhaustion. This is what I’ll give you when it is not fun. I’ll give you a break. I'll give you reasons to not attend births, funerals, the illness of close ones. I’ll give you reasons to not join the the protests, movements, the party. How I will make it easy to decide for me again.“

Sanft streicht die Tänzer*in über den Arm, kniet sich vor dem Stuhl auf den Boden, hält Blickkontakt, während sie wieder aufsteht und von hinten auf den Stuhl klettert, um anschließend bäuchlings über den sitzenden Körper auf den Boden zu gleiten.

Das Ensemble Sanfte Arbeit, früher unter dem Namen Artmann&Duvoisin bekannt, ist im vergangenen Jahr zur künstlerischen Leitung unter Elsa Artmann übergegangen. Seit 2015 arbeiten Diana Treder, Anne-Lene Nöldner und Elsa Artmann zusammen, sind in der Kölner Tanzlandschaft und NRW etabliert. Ihr künstlerisches Interesse findet neben zahlreichen zeitgenössischen Tanzproduktionen, Form in Film, Hörspielen, sowie Schreib- und Bewegungswerkstätten. Dabei spiegeln ihre Arbeiten die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Konzepten und kapitalistischen Arbeitsrealitäten.

Offenes Willkommen

Als wir den Aufführungsraum der Tanzfaktur Köln betreten, werden wir Zeug*innen der anfangs beschriebenen intimen Szene, die sich innerhalb des Halbkreises aus Stühlen abspielt. Auf der Suche nach einem Sitzplatz, begegnen wir dem offenen und einladenden Blick der Performer*in, auf dessen Schoß gerade getanzt wird. Sie ist mit ihrer Aufmerksamkeit bei uns, sagt uns, dass es in Ordnung ist, dass wir das sehen. Zwei weitere Tänzer*innen sind anwesend. Auch sie sitzen aufrecht, mit parallel stehenden Füßen. Die Hände liegen entspannt auf ihren Oberschenkeln, während sie offen das hereinkommende Publikum anschauen. Die genormte Körperhaltung, der weiß ausgeleuchtete Raum und ihre Präsenz wirken irritierend im Kontrast zur voyeuristischen Perspektive, die das Publikum beim Betreten des Raumes einnimmt.

Die Choreografien der zeitgenössisch ausgebildeten Tänzer*innen verweben sich mit gesprochenem Text und bilden zusammen mit dem von Annie Bloch live kreierten elektronischen Klangteppich komplexe Deutungsebenen. Fundamentales Element der Performance stellt der Text und das Spiel damit dar.

Die zwei dicht beieinanderstehenden Tänzer*innen wechseln fließend ihre Posen, halten inne, geben sich flüsternd Konsens über ihren Umgang miteinander. So verwandeln sich Aussagen wie: „Du kannst meinen Oberkörper auf den Boden legen; Du kannst mein Handgelenk greifen“ oder This is how I will hold your neck, this is how I will invite you in; This is how I’ll carry your weight“, die im tänzerischen Kontext durchaus als technisch aufgefasst werden können, durch ihre liebevoll geflüsterte Weise, in eine romantisch aufgeladene Situation. Geht es noch um einen Arbeitskontext oder erleben wir gerade eine Aushandlung von Grenzen zärtlichen Austauschs? Die Frage der Trennung zwischen beruflicher und persönlicher Ebene prägt den Alltag von Tänzer*innen aufgrund ihrer körperbasierten Arbeitspraxis.

Aktiver Konsens

In „Langes Wochenende“ gehen die Künstler*innen zunächst einen verbalen Vertrag mit dem Publikum ein. Fragen nach freiwilliger Einwilligung, die Zuschauenden als Projektionsfläche ihrer Realität zu nutzen, die Körper als Platzhalter vergangener Berührungen, uns direkt mit einem angesprochenen „Du“ als neutrales Pronomen zu adressieren. Safe words und Gesten für aktiven Konsens und dessen Verwehrung werden kommuniziert und geübt.

So werden wir mittels Kontaktimprovisation, Hebungen, Lap dance, der Einbeziehung des Publikums durch die Erwartungen und Erfahrungen freischaffender Tänzer*innen geführt. Die schnell erwartete Nähe auf körperlicher und emotionaler Ebene, sich gegenseitig zu unterstützen, zuzuhören, auch weiterzumachen, wenn einen die Müdigkeit einnimmt. Machtdynamik zwischen Arbeitgeber*innen und Kolleg*innen werden zur Personifizierung, die Struktur in der sich die Künstler*innen befinden, mit einer geschickten ironisch-humorvollen Verdrehung offengelegt. Die gekonnte Ironie bringt das Publikum zum Lachen, mit bitterem Beigeschmack. Denn eigentlich ist die beschrieben Realität nicht lustig.

Das Ensembles Sanfte Arbeit überzeugt mit ihrer einzigartigen Handschrift aus Sprache, somatischer Tanzpraxis und Gesang, mit dem „Langes Wochenende“ die Überlagerungen von Arbeits- und Liebesbeziehungen kritisch reflektiert.

 

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