Kollegiale Zärtlichkeit der freelance lover
Sanfte Arbeit/Elsa Artmann mit „Langes Wochenende“ in der Tanzfaktur Köln
Von Swantje Kawecki
Erschöpft versucht die Tänzerin, sich vorwärtszubewegen. Schwer liegt sie auf dem Bauch, die Beine sind schlaff nach hinten gestreckt. Hände greifen Halt suchend nach vorn, versuchen den kraftlosen Körper ein Stück weiter über den Boden zu ziehen – ein kleines Stück nur näher an die Wasserpfütze dort am Rand der Bühne. Am Ende ihrer Kräfte liegt die Tänzerin schließlich mit der Wange im Wasser. Ein schlürfendes Geräusch ist zu hören, wie ein Echo des Versuches zu Überleben. Dann bewegt sich der Körper nicht mehr. Es ist vollkommen still.
Themen der ökologischen Verantwortung und Fragen nach menschlicher Handlungsfähigkeit (und Handlungsdruck) angesichts der drohenden Katastrophe bewegen heute nicht wenige Tanzschaffende: Wie kann sich im so auf den menschlichen Körper konzentrierten Tanz nicht alles um das Menschliche drehen? „Postanthropozentrisch“ nennen sich Ansätze in der Philosophie, die über solche Fragen bezogen auf menschliche Lebensweisen in der Welt nachdenken. Hier reiht sich auch Amanda Romero Canepa mit ihrer neuen Produktion ein. Aus Peru stammend, lebt die Choreografin seit 2013 in Deutschland und hat hier auch Zeitgenössischen Tanz studiert.
Verbunden in Verlust und Trauer
Ihr Stück in der Tanzfaktur Köln spannt sich zwischen den beiden Begriffen im Titel auf: das Schimmern (Shimmer), so erfahren wir aus der Projektbroschüre, steht für das Geheimnisvolle der Natur und einen Zustand der Verbundenheit aller lebenden Wesen; der Tod (Death) bildet dabei das Gegengewicht im Kreislauf des Lebens.
Noch immer liegt der Körper der Tänzerin leblos da. Nach einer Weile legen sich die drei anderen Performer*innen neben sie, kuscheln sich regelrecht an. Gefühle von Verlust, Trauer und bleibender Verbundenheit fluten den Raum. Immer wieder bewegen sich die Einzelnen kreaturartig über den Boden. Mit angewinkelten Armen und Beinen, hinterhergezogen oder in die Luft weggestreckt, kriechen sie schwerfällig aufeinander zu. Die nackten Oberkörper geben den Blick frei auf die arbeitenden Muskeln. Anspannung ist greifbar.
Vivien Kovarbasic, Hrista Panayotova, Sebastian Varra und Paulina Jürgens verwandeln sich in „shimmer&death“ in mal konkrete, mal enigmatische Lebewesen. Auf der schwach ausgeleuchteten Bühne liegen sie anfangs zusammengekauert auf dem Boden. Blickfang sind nackte Rücken und Arme, da sie nur einfarbige Stoffhosen tragen. Im langsamen Aufbau regen und artikulieren sich Schulterblätter, Rippen, Wirbelsäulen, Muskeln in einem angestrengten Aufrichten und wieder zu Boden Sinken. Mit gesenkten Köpfen bewegen sich diese entschieden formlosen menschlichen Körper auf groteske Art und Weise. Ihre für lange Zeit abgewendeten Gesichter entpersonalisieren sie, erschweren binäre Geschlechterordnungen.
Zusammengehörigkeit und Co-Abhängigkeit
Laute sind zu hören. Erst leise und vereinzelt. Als sie an Lautstärke und Intensität zunehmen, erinnern sie an ein animalisches Wehklagen. Dazu knackende Geräusche, Regen und Wind, und ein immer lauter werdender hoher elektronischer Sound. Wechselnde Szenerien entstehen und verschwinden in der Imagination: Wellen brechen sich an einem steinigen Strand, dessen Ufer in einen rauen Wald übergeht. Aus den Kreaturen werden langsam straußartige Vögel mit zuckenden Oberkörpern, deren Füße am Boden verankert sind.
Romero Canepa setzt sich ohne direkte politische Statements aus ökofeministischer Perspektive mit unserem Planeten und den Folgen ausufernden kapitalistischen Konsums auseinander. Das zahlreich besuchte Nachgespräch zeugt von dem Interesse an der Arbeit dieser jungen Choreografin und ihren künstlerischen sowie politischen Überzeugungen. Die Tänzer*innen erzählen, wie wichtig für sie im Stück das Gefühl von Verbundenheit ist. In der Tat gewinnt man wie schon aus der Performance den Eindruck, dass für diese Arbeit die geteilte Empfindung der Dringlichkeit, öko-politischen Problemen tänzerisch Raum zu geben, der Motor ist. Das führt vielleicht auch dazu, dass nicht alle Intensitäten, die sich für die Tanzenden offensichtlich einstellen, beim Zuschauen ebenso zugänglich sind. Zeitweise wirkt das Geschehen etwas hermetisch und in sich geschlossen.
Dann wieder entstehen intensive Bilder. Das Tempo der Verwandlungen nimmt zu: Stehen da tollwütige Wölfe, deren körperlicher Schmerz sich durch Spannung, Rastlosigkeit und manisches Kratzen Ausdruck findet? Oder sehen wir pflanzliche Organismen, zu denen die Tänzer*innen verschmelzen? Schon erscheinen neue Körperlichkeiten: stolzierende Hähne, Baumgruppen, undefinierbare Tiere, die nach Wasser dürsten und schließlich vor Kraftlosigkeit sterben. Verbunden durch Atmung und Rhythmik kommen die Tänzer*innen in all diesen Rollen immer wieder zusammen und begegnen sich, und sei es in Äußerungen geteilter Trauer. Betont wird so das Zusammenspiel aus Zusammengehörigkeit und Co-Abhängigkeit, die jedes Zusammenleben formen. Nicht nur auf dieser Tanzbühne.
Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.
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