Tote, Lebende, Besessene
Euro-Scene III: „Put your heart under your feet... and walk!“, „Xiao Ke“ und „To be possessed“
„Mobb“ als Solo-Klassenzimmerstück des Theater der Jungen Welt Leipzig
Schüchtern steht sie da vor der Klasse. Mit großem gelben Kapuzenpulli und einem alten ledernen Schulranzen nähert sie sich den Fünftklässer*innen der nigelnagelneuen Leipziger Schule am Hauptbahnhof, die brav, aber auch hier und da kichernd auf den in Reihen aufgestellten Tischen sitzen. Tänzerin Sofiia Stasiv nähert sich den Schülern, springt auf die Tische, wirft sich in Breakdance-Posen oder stemmt sich zwischen zwei Tische. Sie nimmt Kontakt auf, mal schüchtern, mal kokett flirtend, oder auch als rigoroser Bully. Gerade zu herrisch wie eine Besessene in einem Horrorfilm befiehlt sie den Schüler*innen gestisch, den Raum zu räumen. Sie stellt sich vor einen Tisch und treibt die beiden Sitzenden mit klaren Handbewegungen und starrem Blick auseinander, um so den Raum frei zu kriegen. Hier markiert sie auf dem Boden mit schwarz-gelbem Klebeband ein Kreuz und legt sich dann in die Mitte wie eine Leiche in einem Krimi.
Zusammen mit den Choreograf*innen Chris Jäger (auch Bühnenbild) und Cordelia Lange (auch Kostümbild) hat Sofiia Stasiv das Stück „Mobb“ als getanztes Klassenzimmerstück am Theater der Jungen Welt in Leipzig (TdJW) erarbeitet. Seit 2019 gibt es dort eine mit zwei Tänzer*innen besetzte Tanzsparte mit relaxed Performances für die ganz Kleinen, Tanzstücke für Kinder und Jugendliche, sowie Cross-Over-Produktionen. Allerdings ist derzeit unklar, ob dieser kleine Tanzschwerpunkt erhalten bleibt, denn offenbar plant die neue Leitung am TdJW ab nächster Spielzeit keine Fortsetzung des Tanzes für das junge Publikum. Mit „Mobb“ bewegt sich das Leipziger Theater im durchaus wachsenden Segment des Tanzes für Schüler*innen und Schüler, das ja durch Initiativen wie explore dance, das 2024 mit eine Ehrung für herausragende Entwicklung im Tanz im Rahmen des Deutschen Tanzpreises 2024 ausgezeichnet wird.
Ein Klassenzimmer auf Tanzreise
Im Leipziger Klassenzimmer changiert Sofiia Stasiv zur Musik von Hördur Bjarnason zwischen urban moves und Griffen in das Repertoire des zeitgenössischen Tanzes und schlägt die jungen Zuschauenden in ihren Bann, auch wenn diese so manche Interaktion selbstredend als „peinlich“ empfinden. Dabei sind sie trotzdem. In einigen Sequenzen durchquert Stasiv zeitlupenhaft den Raum, dann findet sie verschiedene Widerstände, etwa die Schultasche oder auch ihr eigener Körper. Während sie auf einem Tisch sitzt, scheinen ihre Arme und Beine wie bei einer Marionette ganz eigene Ideen zu entwickeln. Am Ende dann überwindet sie sogar die Schwerkraft. Mit einem Bein in eine feste Orthese geschnallt, kann sie beinahe schweben.
Es geht im weitesten Sinne um die Wirkung von Körpern, Haltungen, Blicken. Das titelgebende „Mobbing“ ist hier nur mittelbar erlebbar, eher ein Part für das folgende Gespräch mit den Theaterpädagog*innen, die solche Schulausflüge betreuen. Vielmehr kann man dieses Stück als eine Reise vom Schulalltag in die Welt der Körperfantasie begreifen. Eine wahre Meisterleistung ist, wie Stasiv nur mit Blicken und Gesten und ohne pädagogisches Anbiedern in kürzester Zeit Beziehungen zu den Schüler*innen aufbaut und sie alle nicht nur mitnimmt sondern auch begeistert auf dieser tänzerische Exkursion.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments