„Sometimes I See the Future“ von Choy Ka Fai / tanzhaus NRW

„Sometimes I See the Future“ von Choy Ka Fai / tanzhaus NRW

Analoges Menschsein

Tanzende Avatare und hyperreale „meta humans“ – ein spannender Abend über digitale Welten

In seiner Uraufführung „Sometimes I see The Future“ erforscht Choy Ka Fai im Tanzhaus NRW die Möglichkeiten der Telepräsenz und den Wunsch, sich der Realität zu entziehen, um sich in einer entfernten Umgebung wiederzufinden – dem World Wide Web.

Düsseldorf, 25/06/2024

Von Frederike Bohr

Der Mann mit blondem Kurzhaarschnitt schaut uns direkt an. Übergroß als Projektion auf einer Leinwand in der Mitte der Bühne, erzählt er auf Englisch davon, dass er seit 2014 als „immigrant artist“ in Deutschland – genauer gesagt in Berlin – lebt und verrät, was er als typisch deutsch empfindet. Da ist beispielsweise der Fußball, die Freiheit, die in Deutschland herrscht, das Progressive und die Natur. Fußball mag er, besonders Tony Kroos. Anderseits wundert er sich über die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn und über das oft nicht gut funktionierende deutsche Internet. Der projizierte Mann bewegt sich, tanzt mit zunehmend abrupten, roboterhaften Bewegungen. Nebenbei wird es tiefgründig. Er erzählt vom „Körper als Drama, als Ort von Bewegung, von der Kraft der Veränderung, verlorenen Seelen“. Die Stimme klingt mehr und mehr nach Synthesizer, das eben noch Menschliche wird zum künstlich Virtuellen. Und trotzdem lauscht man gebannt dem Erzählten. 

Lauter Beat und grell flackerndes Discolicht gibt dem Raum den Anschein eines Club Settings der 90-er Jahre. Rosa Glitzer. Technoparty. Die Animation verändert sich rasant, Geschlechter verschwimmen. „Gefühle fließen wie Morgentau“, tönt es. Dann Stille. Zurück bleibt eine Manga-Figur mit Katzenohren – künstlich kühl und doch irgendwie anrührend. 

Big Data und digitale Bekenntnisse

Bewegung ist bei Choy Ka Fai immer auch eine Bewegung zwischen Kultur und Wissenschaft – er teilt sich mit, wie auch an diesem Abend, mal auf persönliche, mal auf unpersönliche Weise, mal analog, dann digital. Seine neue Arbeit Sometimes I see The Future bewegt sich ganz im Sinn seiner multidisziplinären Kunstpraxis an der Schnittstelle von Tanz, Medienkunst und Performance.

Nun betritt er selbst im Manga-Katzenkostüm die Bühne und referiert über Big Data und das „Drama unserer Zeit“. Digitale Alter Egos von Elon Musk und Mark Zuckerberg tauchen auf zwischen vielen imaginierten, projizierten Persönlichkeiten und Identitäten. 

Wie Mensch und Maschine zusammenwirken steht im Fokus und ebenso das Interesse an der Möglichkeit, menschliche Charaktere zu animieren – dreidimensionale Meta Humans, mithilfe einer App, jenseits der bisherigen humanen Wirklichkeit. 

Es folgen Bekenntnisse über durchwachte Nächte, schlechte Zeiten ohne Licht am Ende des Tunnels, das Internet als Ausweg, Communities in der digitalen Welt. Gemeinsam einsam im Netz, im eigenen Zimmer vor dem warmleuchtenden Bildschirm.

Choy Ka Fai berichtet darüber was „Manga“ bedeutet, die „Improvisation skurriler Bilder“, eine Form von Comics, die ihren Ursprung in Japan hat. Aufwändig gezeichnete Figuren mit großen Augen, vereinfachten Gesichtszügen und übertrieben dargestellten Emotionen sind typisch für dieses Genre. Es geht um Spaß an Verkleidung, Animé und Cosplay, ein Phänomen, das in den 90er Jahren mit dem Mangaboom aus Japan nach Europa und die USA kam und damit mancherorts die Mode, Mangafiguren durch Kostümierung und Verhalten möglichst originalgetreu darzustellen. 

„Jeden Tag brauche ich eine Umarmung!“

Viel Information bekommt man an diesem Abend, der mehr Lecture als Performance ist. Verkopft und trotzdem aufrührend, grotesk zynisch, humorvoll und intelligent aufbereitet. Man erfährt etwas über „Sailor Moon“, eine in den 90ern erstmals ausgestrahlte japanische Animeserie, Szenecafés in Japan und Manga-Messen in Deutschland. Aber auch über digitale Liebe, Nietzsche und die Wirkung von Emojis, die kleinen, längst ins allgemeine Kommunikationsrepertoire übernommenen Gesichter und Symbole, die benutzt werden, um dem Empfänger per E-Mail oder SMS Stimmungen und Gefühle mitzuteilen. 

Die Figuren auf der Leinwand bewegen sich kontinuierlich, expressiv. Irgendwann kommt eine Tänzerin nach vorne, beginnt zu tanzen, zeitgleich mit der Projektion im Manga-Style. Digitalität und analoge körperliche Realitäten verschwimmen. Discobeat und Lichtshow, ansprechend aufrührend. „Jeden Tag brauche ich eine Umarmung“, erklären die Lautsprecher. Eine Zuschauerin zückt ihr Handy, nimmt das Gesehene auf. Als Erinnerung? Vielleicht postet sie die Aufnahme später im Netz. 

Was bleibt, ist ein kleinteiliger Teppich aus Eindrücken, Erkenntnissen, vielen Bildern und Oberflächen, widerspiegelnd, mehr digital als real, nerdig Behaftetes und Altbekanntes. KI macht vieles möglich. Und doch stellt sich die Frage: Wo bleibt der Mensch dabei, das wirklich Reale, Humane? In der Zeit der Digitalität, von Fortschrittsdenken geprägt, bei dem der Mensch den Anschluss verpasst.

„Wo findet sich dann unsere Seele wieder?“ fügt Choy Ka Fai hinzu. Etwas ratlos bleibt man zurück. Vielleicht wäre jetzt der Moment, einen Manga-Comic zu lesen. Frei nach dem Motto: „Folge Deinem Traum nach Gerechtigkeit - Du kannst es tun, oh Saylor Moon!“

Im direkten Kontakt im Hier und Jetzt

Später komme ich mit zwei um die 20-jährigen jungen Frauen ins Gespräch. Eine der beiden ist auffällig geschminkt mit schwarz umrandeten Augen. Langes schwarzes Haar, schwarze Fingernägel, auffällige bis ins Detail zusammengestellte Kleidung. Sie liebe Manga, sagt sie, gerade wegen der Möglichkeit, sich zu verwandeln. Ich frage, was sie denn mitnimmt aus dem Abend. „Die Freiheit, jemand anderes sein zu können, wann immer ich will.“ 

Im Hier und Jetzt sein, darum geht es, denke ich, als ich gehe. Und vielleicht darum, den Versuch zu wagen, bei sich selbst anzufangen, im direkten Kontakt mit der Welt. Es könnte dabei helfen, das analoge Menschsein nicht zu verlernen.

 

 

Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW

 

Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.

 

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