Auszeichnung für Sasha Waltz
Die Choreografin erhält den Helmut-Schmidt-Zukunftspreis 2025
Als „Deal“ noch nicht Chancen auf die Wahl zum Unwort des Jahres hatte, hätte man die Kooperation der Staatstheater-Kompanie tanzmainz mit Sasha Waltz so bezeichnen können. Zur Eröffnung des diesjährigen großen Tanzfestivals in der Domstadt – inzwischen in seiner fünften Ausgabe – performen die beiden Ensembles gemeinsam das Stück „In C“. Anschließend präsentiert sich das Ensemble Sasha Waltz & Guests der gerade mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichneten Starchoreografin mit der Aufführung von „Beethoven 7“. Im Gegenzug treten die Mainzer Tänzer*innen zweimal im Berliner Radialsystem auf: So gehen Verabredungen auf Augenhöhe.
Fünf Jahre ist der erste Corona-Lockdown her, Anlass für vielerlei Rückbesinnung. Fast allzu gut hat seither die Devise „back to normal“ gegriffen. Dabei hat die Pandemie die Kulturszene gründlich durchgerüttelt – und neben Existenzängsten auch viel kreative Energie freigesetzt. Sasha Waltz, bekannt für konzeptionelles Denken auf hohem Niveau, hat aus der Corona-Not eine ganz spezielle Tugend gemacht: die Choreografie „In C“ zur gleichnamigen Komposition von Terry Riley. Die Choreografin setzt dabei auf die Möglichkeit leichter Partizipation; mit diesem Erfolgskonzept tourt das Stück in ganz unterschiedlicher Gestalt durch die Welt. Der choreografische Kunstgriff von „In C“ ist das flexible Konzept, das auf Improvisation innerhalb einer vorgegebenen Struktur setzt – ganz wie die musikalische Vorlage.
53 Elemente zur Kombination
Terry Riley, einer der Begründer der Minimal Music, war fasziniert vom Trancepotential der Wiederholungsschleifen. In der 1964 entstandenen Komposition „In C“ versuchte er, die elektronische Loop-Technik mit realen Musikinstrumenten nachzuahmen. Dafür komponierte er 53 Melodiefragmente, für deren Wiedergabe er den Musiker*innen eher eine Regieweisung als eine Partitur vorlegte. Auch die Besetzung und die Anzahl der beteiligten Musiker*innen hielt er flexibel. So konnte man in Mainz elf augenfällig auf der Bühne platzierte Mitglieder des Philharmonischen Orchesters des Staatstheaters beim gemeinsamen Improvisieren beobachten. Es war spannend zu hören, wie sich die Einzelnen auf unterschiedliche Weise für einen roten Faden in der flexiblen musikalischen Versuchsanordnung verantwortlich fühlten. Hinsichtlich der Trance-Wirkung blieb das Ganze allerdings eher eine lustvolle Fingerübung.
Das Spannungsfeld zwischen Freiraum für Improvisation und Verantwortung für das gemeinsame Ganze eröffnete Sasha Waltz auch für die Tänzer*innen. Ihre Choreografie besteht aus 53 Bewegungsfiguren, mit denen die Beteiligten nach einem Baukastenprinzip nach eigenen Vorlieben flexibel umgehen können – unter Einhaltung präziser Vorgaben, versteht sich. Zum Beispiel dürfen sich alle Beteiligten im Ablauf zeitlich nicht zu weit voneinander entfernen; ein Aufmerksamkeits-Puzzle auf hohem Niveau. Rhythmus, Zeitdauer und die Anzahl von Wiederholungen, üblicherweise verlässliche Rahmenbedingungen für gemeinsames Improvisieren, sind hier ungewohnt variabel. In der Folge ist jede Aufführung von „In C“ ein Unikat – um den Preis gewollter Beliebigkeit.
Gemeinsames Improvisieren auf der großen Bühne
Dafür gibt Sasha Waltz ihr Wissen und Können mit diesem Stück weltweit großzügig weiter – es ist mit überschaubaren technischen Hürden auf Partizipation angelegt. Tänzerinnen und Tänzer können die 53 Choreografie-Elemente vorab lernen. Von der Kooperation mit ganzen Ensembles wie in Mainz bis zur Entsendung einzelner Ensemblemitglieder zur Probenleitung, von Inklusionsprojekten für den Einschluss besonderer Gruppen bis zur Anpassung an spezielle Orte bietet „In C“ eine möglichst niedrigschwellige Einladung zum Tanz. Sasha Waltz betrachtet ihr Stück grundsätzlich als persönliches Angebot für Wissenstransfer.
Sieben Mitglieder des Mainzer Ensembles verwandeln zusammen mit sechs Tänzer*innen aus dem Ensemble von Sasha Waltz die Bühne zuverlässig in eine bunte Wundertüte. Wechselndes intensiv farbiges Licht und Kostüme in Bonbon- und Sorbetfarben (ärmellose Shirts mit großen Armausschnitten zu gleichfarbigen Shorts oder längeren Hosen) machen aus dem Bühnenraum einen belebten Erwachsenen-Spielplatz. Das Stück setzt auf Bewegung pur, ohne Vorgabe von Thema und Bedeutung oder festgelegtem dramaturgischem Spannungsbogen. Aber die dreizehn famosen Tänzer*innen trotzen der quasi basisdemokratischen Choreografie mit viel Engagement persönliche Akzente, kurze intime Zweierbegegnungen und Gruppenbildungen in unterschiedlichen Tableaus ab. Dafür muss sich jede und jeder Einzelne für das Gesamtergebnis verantwortlich fühlen – nebenbei eine kleine Lehrstunde für die Entfaltung von individuellem Freiraum innerhalb vorgegebener Regeln. Das Ergebnis wurde vom Premierenpublikum einhellig gefeiert.
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