„Dido and Aeneas“ von Frank Chartier und Peeping Tom

Feinste Fusion

„Dido and Aeneas“ als getanzte Oper am Theater Basel

Was der Musiker Atsushi Sakai mit seinen Neukompositionen und das Tanztheaterkollektiv Peeping Tom aus der Barock-Oper von Henry Purcell machen, ist ein berückendes Fest für Augen und Ohren.

Basel, 07/04/2025

Vergil erzählt in seinem Werk „Aenesis“ die Geschichte der tragischen Liebe zwischen Dido, der Königin von Karthago und dem trojanischen Prinzen Aeneas. In der Opernvertonung von Henry Purcell aus dem 17. Jahrhundert bleibt das Libretto in der Nähe der Erzählung. Gott Jupiter fordert Aeneas zum Verlassen von Karthago und damit von Dido auf. Dido stirbt aus Verzweiflung über dessen Abschied und Untreue. Geschmiedet wurde der Plan aber nicht von Göttern, sondern von Hexen und Monstern und einer Zauberin, „die alle hasst, die glücklich sind“.

Bei Regisseur Frank Chartier von Peeping Tom entsteht eine zweite Erzählebene, die sich parallel entwickelt. Alle Rollen werden gedoubelt: Die Sänger*innen spielen die Charaktere aus der Oper und die Performerinnen von Peeping Tom sind ihre Doppelgängerinnen. Dieses Vexierbild ermöglicht es, die Vergangenheit der Geschichte aus der Antike in die Moderne zu führen, ein Einfall, der die Oper so faszinierend wie verwirrend macht. „Dido and Aeneas“ ist die erste Operninszenierung des belgischen Tanztheaterkollektivs.

Sängerin-Dido und Performerin-Dido

Bei Chartier versetzt sich eine reiche und mächtige Witwe, dargestellt von Eurudike De Beul, immer mehr in die Rolle der Dido in der Oper „Dido and Aenaes“, die sie sich wieder und wieder vorspielen lässt. Vom Bühnenrand her lehnt sie sich plötzlich zum Orchester hinunter und meint: „Ihr spielt so schön.“ Eurudike De Beul, Mitbegründerin von Peeping Tom, wird zur überragenden Hauptfigur der Inszenierung. Diese verliebt sich, analog zu Dido, unglücklich, und zwar in einen um 20 Jahre jüngeren Diener, Aeneas‘ Doppelspieler. Beide sind Witwen, beide ohne Familie und Kinder. Die Schweizer Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis, die schon in der Inszenierung von Sasha Waltz & Guests an der Berliner Staatsoper und am Teatro Real in Madrid als Dido auftrat, wird als Sängerin-Dido zu einem gescheiterten Alter Ego der sich königlich aufführenden Performerin-Dido. Gleichzeitig sind beide auch Zauberinnen und Hexen.

Zu sanften Klängen aus dem Orchestergraben und dem Gesang der Sängerinnen beherrschen die Tänzerinnen und Tänzer von Peeping Tom von Anfang die Bühne, slapstickartig irrlichtern sie durch das Geschehen. Überwiegt anfangs noch das Amüsante und Leichte, werden schon bald die Qualen und Nöte von Liebesleid und Einsamkeit getanzt und gesungen.

Bewegungsakrobaten

Wenn Peeping Tom inszeniert, entsteht überwältigendes absurdes Theater. Allein schon das Bühnenbild (Justine Bougerol) bezirzt: ein hyperrealistisches, bourgeoises Wohn- und Schlafzimmer, mit Holzvertäfelung und Ahnengemälden an den Wänden, mit Fenstern und Türen, um Licht und alles andere einzulassen. Ganz oben, in schwindelnder Höhe unter dem Dach der Bühne, steht, singt und mimt der Chor des Theater Basel. Die Sänger*innen sind dennoch mittendrin, als Beobachtende und Mitagierende, die protestierend schon mal Dinge auf den Boden schmeißen und die sich wiegend und hüpfend mitbewegen.

Die Tanzartisten von Peeping Tom sind erfahrene Bewegungsakrobaten. Töne werden zu figurativen Motiven, Klänge führen zu einzigartigen Bewegungen. Aus der Tragödie wird eine urkomische Tragikomödie, zumindest im ersten und zweiten Akt. Bizarre Einfälle, wie die endlos einschenkende Teekanne oder das Einschäumen des Cellisten, die weit weg sind von der Geschichte, verblüffen und bringen Abwechslung. Mehrere Handlungen geschehen oft gleichzeitig auf der Bühne, das Publikum ist gefordert. Kein Gegenstand ist zufällig da – die dunklen Ahnenbilder an den Wänden haben genauso ihre Funktion wie das Bett, das vielfältig benutzt wird.

Schöne Stimmen und eindrückliche Auftritte haben die beiden Sängerinnen Álfheiður Erla Guðmundsdóttir als Belinda, die Vertraute von Dido und Erste Hexe, und Hope Nelson als Zweite Frau und Zweite Hexe. Schreiend und bellend machen sie darauf aufmerksam, dass es sich hier trotz allem Klamauk um „such a sad story“ handelt.

Subtile Klangwelten

Die Barock-Oper „Dido und Aeneas“ des englischen Komponisten Henry Purcell ist um 1680 entstanden; eine Partitur von 1715 ist erhalten geblieben. Die Oper dauert nur 50 Minuten. Sie muss also für die abendfüllende Neuinszenierung verlängert werden. Diese Aufgabe fiel diesmal dem zeitgenössischen Musiker und Komponisten Atushi Sakai zu. Zu der großen, höfischen Musik setzen seine subtilen und bedrohlichen Klangwelten klare Akzente hinzu. Sie erlauben es den Sängerinnen, ihre Emotionen, ihre Wut und Verzweiflung auszudrücken. Seine Musik steht zwar im Kontrast zu den fröhlicheren Passagen von Purcell, verwebt sich aber mit ihnen aufs Feinste. Sakai steht selbst mal am Dirigentenpult, mal mitten auf der Bühne als Cellist.

Johannes Keller, der zusammen mit Sakai verantwortlich ist für die musikalische Leitung, greift in die Originalpartitur von Purcell ein und interpretiert sie neu. Lustige Wortspielereien erweitern das Libretto, und alles in allem wird die Aufführung um eine volle Stunde erweitert, verlängert und bereichert. Alle Töne, auch die Geräusche auf der Bühne, also der Wind, der Sturm, der Sand, das Schmatzen werden von den Musikern gemacht. Das La Cetra Barockorchester Basel erbringt die große hervorragende Leistung, die beiden Musikstile zu verschmelzen.

Aeneas (Ronan Caillet) ist kein Held. Als fauler Couch Potato erscheint er spät und sitzt die meiste Zeit auf dem Sofa und lässt sich Tee einschenken. Erst gegen Schluss erhält er seinen großen Auftritt, endlich zum Mann geworden, will er sich den Befehlen der Götter wiedersetzen und bei Dido bleiben. Zu spät.

Von Geistern und Monstern

Der Wahnsinn nimmt überhand, Sand rinnt durch die Fenster und durchs Dach, wird durch die Türen geweht und deckt die Bühne langsam zu. Blitz und Donner kündigen den Untergang an, der Sturm tobt, Gemälde und Möbel müssen in Sicherheit gebracht werden, Geister und Monster übernehmen mit ihren Albtraumphantasien die Bühne. Scham- und hemmungslos kündigen sie den nahen Tod an. Eureudike-Dido ist müde, sie legt sich ins Bett, will nur noch dem Regen und den Vögeln zuhören und Tod erwarten. Währenddessen hebt die Marie-Claude-Dido großartig zum Streitgesang mit Aeneas an und singt „Den Tod kann ich nicht meiden, der Tod ist in mir“.

Diese Fusion von Musik und Tanz, von Alt und Neu ist etwas vom Feinsten für Ohr und Auge, das sollte man sich nicht entgehen lassen. Das Premierenpublikum spendete denn auch den verdienten, begeisterten Applaus.

 

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