„Mit Herz und Verstand“: „Cantata“ von Mauro Bigonzetti

Chanel und Chorizo

„Mit Herz und Verstand“: Choreografien von Cayetano Soto und Mauro Bigonzetti am Staatstheater Cottbus

Zwei Choreografen, drei Stücke und eine gut aufgestellte Company. Die erste Ballettpremiere unter der künstlerischen Leitung von Inma López und Stefan Kulhawec überzeugt.

Cottbus, 10/03/2025

Die Perle des Abends versteckt sich direkt vor der Pause. „Sortijas“ von Cayetano Soto, wunderbar getanzt von Alessandra Amorina und Jorge Concepción Leal. Dazu ertönt „What kind of heart“, interpretiert von Lhasa de Selaa. Das kurze Stück zerhaut Soto in drei Teile. Zunächst fliegt Amorina geradezu auf den starken Armen von Concepción Leal, um dann in abstrakte Parallelitäten zu flüchten, bis beide zum Abschluss fast schon seltsam ineinander verwachsen wieder zueinander zu finden. Ein Spiel von Grazie und Kraft, von runden Abläufen und zackigen Bewegungsmustern. Selbst wenn sie im parallelen Einzelspiel gefangen sind, bilden beide eine klare Einheit, transportieren eine ungeheure Energie über den geschlossenen Orchestergraben. Sotos Bewegungskompositionen auf die Musik finden hier ein kongeniales Ausführungspaar, das Emotion und Präzision zusammenbringt. Mit Herz und Verstand lassen Alessandra Amorina und Jorge Concepción Leal die Choreografie über sich hinauswachsen.

Abstrakter Humor: „Corazonconrazon“ von Cayetano Soto

Auch am Anfang des dreiteiligen Ballettabends „Mit Herz und Verstand“, der am 8. März Premiere im Staatstheater Cottbus feierte, steht ein Stück von Cayetano Soto, das vor allem Nora Brown mit der Company einstudierte. „Corazonconrazon“, ein Wortspiel, das in etwa Herz mit Verstand bedeutet, war in Deutschland bereits bei der Gauthier Dance Company zu sehen und nun auch in Cottbus. Soto setzt in dieser 15-minütigen Choreografie auf spanische und französische Schlagermusik der 1950er und 60er Jahre, wie man sie auch in den Filmen von Pedro Almodóvar findet. 10 Tänzer*innen mit Reithüten, in grauen Hemden, kurzen Hosen und langen schwarzen Kniestrümpfen liefern eine rasante Tour de Force. Sie tanzen erst zusammen in Nebel und Gegenlicht, dann in sich auffächernden, abstrakt-eckigen und mitunter comichaften Bewegungen. Soto greift den Rhythmus der Musik auf, verweigert sich aber den klassischen emotionalen Zugriff, sondern liefert eine ganz eigene Folie und Interpretation, die auch immer ein Augenzwinkern beinhaltet. Das Cottbusser Ballett tanzt dies in vollkommener Präzision und setzt noch jeden kleinen Finger ganz genau, wenn sie etwa dem Publikum gegen Ende den Rücken zukehren.

Energetisch und athletisch mit einem Hauch Folklore: „Cantata“ von Mauro Bigonzetti

Nach so viel Fokus auf technische Perfektion entfesselt Mauro Bigonzetti im dritten Teil eine ganz andere Energie. Seine „Cantata“ fußt im ruralen Süditalien mit scheinbar klar verteilten Geschlechterrollen und vordefinierten Lebenswegen. Das Dorf als Mikrokosmos. Die 16 Tänzer*innen sind volkstümlich gekleidet, ein Hauch des Landproletariats der 1950er Jahre weht über die Bühne. Dabei beginnt alles gar nicht tanzend, sondern singend im Chor, wo sich die Gemeinschaft in der Musik findet. Die Musik für den gesamten Abend stammt von der italienischen Gruppe Assurd um Cristina Vetrone und Lorella Monti, die es sich zur Aufgabe gemacht ha,t süditalienische Folk-Musik zu sichern und weiterzuverarbeiten. Da gibt es langsame Tanzweisen, ebenso wie schnelle Stücke, die an Balkan-Ska-Exzesse erinnern. Bigonzetti gibt aber nicht nur dem musikalischen Affen Zucker, sondern bürstet seinen Tanz gerne gegen den musikalischen Strich, wenn er zu schnellen Stücken in ganz langsame, Slow-Motion-Bewegungsmuster verfällt oder er verknotet drei Tanzende zu einer Figur. Durchziehende Geste ist die ausgestreckte Hand, die wie eine Maske vor dem Gesicht getragen wird.

Statt unbedingter Präzision liegt sein Augenmerk auf geradezu athletischem Ausdruck, den das Cottbusser Ballett fraglos liefern kann, und der Energie auf der Bühne. Dies wird gerade in den wuseligen Ensembleszenen deutlich, wenn zu großen Musikarrangements jede*r Einzelne seine eigenen Bewegungsmuster austanzen darf, die aber alle in der gleichen Idee der jeweiligen Szene fußen. Wiederkehrendes Thema sind die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, wobei hier die Frauen klar den Takt angeben und die sehr maskulin auftretenden Männer entweder zappeln lassen oder gleich sagen, wo es lang geht. Doch auch untereinander wird gefrotzelt: „Chanel oder Chorizo?“, wird da unter Lachen einer Dame zugerufen und in einer langen Szene wird ermittelt, wer denn hier nach Fisch stinkt, wobei die Darstellungen von Sardine und Oktopus nicht ohne Witz sind. Bigonzetti malt mit grobem Pinsel das Bild einer derben liebenswerten Gemeinschaft, die sich immer wieder zusammenrauft und sich schließlich zu einer großen, langen Schlange verschränkt, bevor das Licht erlischt.

So ist diese erste Ballettpremiere unter der künstlerischen Leitung von Inma López und Stefan Kulhawec, die seit April 2024 die Sparte am Staatstheater leiten, eine eindrucksvolle Leistungsschau mit klar mediterranem Einschlag.

 

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