„Lunar Cycle“ von Richard Siegal

Zur Blauen Stunde

Richard Siegals „Lunar Cycle“ im Folkwang Museum Essen

Das große Ganze da draußen funktioniert fabelhaft ohne den Menschen. Andersrum siehts anders aus: Wir brauchen das alles, um funktionieren zu können.

Essen, 06/04/2025

Alles ist in Bewegung. Manches davon kriegt man kaum mit. Es sei denn, man schaut genau hin, nimmt sich Zeit und denkt nach. Das lässt sich in Richard Siegals Performance-Installation „Lunar Cycle“ im Folkwang Museum bestens bewerkstelligen. Dabei gibt der Raum nur wenig vor. Den Fokus bildet ein großer leuchtender Ring am Boden. Mittelpunkt ist er aber nicht. Da fängt's schon an. Irgendwann haben wir ja festgestellt, dass die Sonne eben nicht um die Erde kreist. Und dieser Kreis selbst hat ein Eigenleben. Das Licht in seinem Inneren scheint sich zu bewegen, kreisförmig. Wie auch sonst. Zwei Schlagzeug-Sets mit Percussion-Instrumenten und ein Konzertflügel warten geduldig auf die Ausnahmemomente. Zwischen denen passiert halt nichts. Die Gleichförmigkeit des Lebens. Die lässt sich am entspanntesten auf einer der im Raum verteilten, großzügigen Bänke ertragen. Fast könnte man meinen, das war's hier schon. 

Das Licht aber, großzügig fast über die gesamte Kassettendecke des Saals verteilt, spielt eine entscheidende Rolle. Gleichmäßig wird der Raum dadurch in eine sanfte, kontemplative Stimmung getaucht, die sich auch beständig verändert. Zwischen „eisblau“ und „sonnengelb“ variieren die Farben, immer irgendwie ganz „neben“ durchschnittlichem Tageslicht, trotzdem aber natürlich und vertraut wirkend. Unaufgeregte Soundmomente, entsprechend sphärisch, schieben sich vorsichtig dazu.

Lässt man sich darauf ein, rutscht man ganz automatisch in das Gefühl eines Tages- oder Jahreszeiten-Rhythmus, der durch die Einflüsse des Lichts strukturiert wird. 

Was verändert sich durch mich?

Das ist so unaufdringlich, dass man eigentlich den gesamten Raum ignorieren könnte, wenn man nur einen kurzen Blick reinwirft. Es gibt nichts, das die Sinne so stimuliert, dass sich besondere Aufmerksamkeit lohnen würde. Und das ist der Punkt. Das Universum ist nicht für den Menschen gemacht worden. Wer hier irgendwas erwartet, wird definitiv enttäuscht werden. 

So richtig klar wird das besonders dann, wenn sich Performer*innen in dieses Setting einbringen. Studierende der Folkwang Universität setzen sich zu dieser Gleichförmigkeit in Relation. Und erst damit kommt sozusagen das Denken dazu, der Zuschreibungsakt von „Sinnhaftigkeit“. Sieben Personen, vereinzelt, kontemplativ. Ganz nach innen versunken stehen sie im Raum, ignorieren sich gegenseitig und scheinen die Atmosphäre aufzunehmen. Als könnte man ihnen beim Reflektieren zuschauen. Die Bewegungen sind wie Versuche, ein Ausprobieren dessen, was passiert, wenn man den Raum einnimmt. Also immer wieder verharren, hinhören. Einfach wie tot am Boden liegen. Das ist auch ein Abwarten. Was verändert sich durch mich?

Was man für Mikrofone halten könnte, die von der Decke hängen, entpuppt sich als kleine Nebelmaschinen, die in ihrer Höhe variiert werden können. Immer wieder spucken sie stotternd kleine Nebelfetzen aus. Aufregenderes gibt’s nicht in diesem Universum. So ist das eben. Und irgendwann sind sie wieder weg, die Performer*innen. Dann ist alles so, wie vorher. Nichts hat sich verändert. Alles geht einfach so weiter. Als hätte es den Menschen nicht gegeben. Welche Größe, welches „Gewicht“ der Mensch hat, das ist alles relativ. 

Dabei bietet diese überschaubare Arbeit noch ein ganz besonderes Schmankerl. Drei bodentiefe Fenster öffnen die Blackbox nach außen, indem sie mit leicht transparenten Rollos verdeckt sind. Das erlaubt eine Spiegelung des leuchtenden Rings, der plötzlich draußen auf der Straße zu liegen scheint. Und der „falsche“ Lichthimmel aus der Kassettendecke ersetzt den eigentlichen Himmel darüber. Zwar scheint auch draußen die Sonne, aber hier legt sich auf die wahrgenommene Oberfläche sozusagen zusätzlich das Bewusstsein. Und was gibt es Besseres, als wenn Kunst es schafft, an die Realität anzudocken?

 

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