„La Vacabose“ von Maria Mercedes Flores Mujica

Dreimal Schmerz

Robert Ssempijja, Constantin Trommlitz und Maria Mercedes Flores Mujica beim Tanzhochdrei auf Kampnagel

Arbeitsnachweise für die Artists in Residence des K3: Das Festival Tanzhochdrei auf Kampnagel zeigt drei unterschiedliche Arbeiten. Fast mit echter Kotze.

Hamburg, 22/03/2025

Beim alljährlichen Mini-Festival „Tanzhochdrei“ präsentieren die Artists in Residenz vom K3 – Tanzplan Hamburg auf Kampnagel das Ergebnis ihrer choreografischen Entdeckungsreise. Bei der diesjährigen Ausgabe waren mit Robert Ssempijja, Constantin Trommlitz und Maria Mercedes Flores Mujica drei auf verschiedenen Ebenen sehr unterschiedliche Ansätze zu sehen, die sich alle auf die ein oder andere Weise mit Schmerzen auseinandersetzen. Postkolonial-afrikanische Identitätsfragen, Umgang mit Schmerz und seinem künstlerischen Potential und eine ekstatische After-After-Hour bildeten das Panorama dieses Jahrgangs, und in der Zusammenschau ist dies auch die optimale Reihenfolge, sich diesen Arbeiten aus Publikumsperspektive zu nähern.

Postkoloniales Empowerment: „Alienation III“ von Robert Ssempijja

Starten wir also mit Robert Ssempijjas Solo „Alienation III“. Er bearbeitet hier tänzerisch Fragen, die er bereits in seinem Essay „Structure is magic. Architecture, policy and design“ für das Festival „Moving across Thresholds“ ausgearbeitet hat. Darin widmet er sich seiner Heimatstadt Kampala in Uganda, die auf zehn Hügeln liegend, in den 1930er Jahren maßgeblich von dem deutschen Stadtplaner Ernst May gestaltet wurde und bis heute in Form von Straßennamen wie „King George VI Way“ oder „Gloucester Avenue“ die Insignien der britischen Kolonialherrschaft in sich eingeschrieben hat. Ssempijja war bereits Pina-Bausch-Stipendiat und hat unter anderem mit Christoph Winkler zusammengearbeitet, der bei dieser Produktion auch als Outside-Eye mitgewirkt hat. 

In dem weißen Raum sind aus braunem Packpapier die zehn Hügel Kampalas namentlich aufgetragen und jede*r Besucher*in bekommt am Einlass einen kleinen Zettel mit Sitzplatz ausgehändigt. Robert Ssempijja kriecht und schleppt sich zunächst mit nacktem Oberkörper über die Bühne wie niedergedrückt, während aus den Lautsprechern ein Text in einer der 40 in Uganda verbreiteten Sprachen kommt. Drei Projektionsflächen zeigen später Straßenszenen aus der ugandischen Hauptstadt, hinzu kommt elektronisch verfremdete Live-Percussion von Öz Kaveller. Ssempijja beginnt nun, mittlerweile in einen weißen Overall mit Straßennamen gekleidet, Straßenschilder aufzustellen, und treibt dabei das Publikum mitunter auseinander. Dabei gibt es tänzerische Elemente, die immer den Eindruck erzeugen, dass etwas von außen auf den Körper wirkt – mal ein Ziehen, mal ein Niederdrücken. Es ist eine klare, einfache Formensprache, sehr assoziativ. „In this place nothing belongs to me“, spricht ein Text aus den Lautsprechern, doch natürlich ist dieser Zustand ein änderbarer.

Ssempijja schichtet aus Umzugskisten ein großes Feld mit erdähnlichem Granulat zusammen, auf dem er sich hinlegt und mit Armbewegungen schwunghafte Formen in den Boden malt, während Texte über Schwarzsein als Konstruktion durch die Weißen den Raum fluten: „I am Buganda“, endet es und der weiße Overall bleibt wie eine leblose Hülle liegen.
Robert Ssempijja buchstabiert hier in schönen, kräftigen Bildern einmal mehr die Vision des postkolonialen Black Empowerment durch. Das birgt zwar inhaltlich außerhalb der ugandischen Details wenig Neues, ist aber zugleich ein klares Zeichen, dass diese Prozesse immer noch nicht abgeschlossen sind seit Frantz Fanons ersten dekolonialen Analysen.

Folge dem Schmerz: „Silver Lining“ von Constantin Trommlitz

Constantin Trommlitz, der in Amsterdam lebt und arbeitet, möchte in „Silver Lining“ den Komplex „Schmerz“ erkunden und die Limitation zum kreativen Motor machen. Die Herausforderung ist dabei, den Schmerz, der ja etwa Innerliches ist, in den Ausdruck von vier Körpern zu übersetzen. Trommlitz tanzt dabei selbst, zusammen mit Lara Szymanski Canaro, Filippo Gualandris und Virginia Lewerissa. Zunächst beginnt alles wie ein klassischer Clubabend: stampfende Bässe (Musik: Tom van Wee) und die vier Tänzer*innen, die zunächst auf vier Stühlen auf der dunklen Bühne sitzen, in Bewegung. Diese Bewegungen aber sind seltsam rhythmisiert wie im Zeitraffer und mitunter wie abgehackt. Bereits zu Start wird hier eine hohe technische Präzision sichtbar, die sich durch den ganzen Abend zieht und in dieser Form die höchste Qualität der drei Festivalarbeiten darstellt. Genau getaktet, suchen die vier ihre eigenen Muster, um dann immer wieder für Sekundenbruchteile zu einer Figur zusammenzukommen, um im nächsten Moment wieder zu zerstieben. Immer wieder bleibt eine*r kurz im Freeze, während der Rest weitertobt.

In der nächsten Szene dann sitzen alle wie in einem Wartezimmer nebeneinander und beginnen von da aus wechselweise Soli, sei es im Breaking-Modus bei Trommlitz oder mit wirbelnden Unterarmen wie bei Filippo Gualandris. Virtuelle Stangen tauchen auf, Körper zittern und immer wieder die gleichen tänzerischen Versatzstücke in neuen Kombinationen, bis schließlich die einzelnen Figuren zu neuen Konstellationen zusammenwachsen. Erst zwei, dann drei und schließlich alle zusammen. Berührungen entstehen, die Bewegungen werden weicher, ein gemeinschaftlicher Moment wächst heran.

Das Schmerzthema klingt da durchaus durch, das ständige Stoßen an Grenzen, das Abarbeiten der Gefühle mit sich selbst, das Wartezimmer beim Arzt mit seinem Gong, der stellenweise die Performance strukturiert. Zumal alle vier ihr Handwerk beherrschen und ihre Bewegungsmuster kongenial rekombinieren können. Wahrlich mehr als nur ein Silberstreif am Tanzhorizont.

After-After-Hour: „La Vacabose“ von Maria Mercedes Flores Mujica

Zum Fest nach dem Fest lädt die in Köln ansässige Choreografin Maria Mercedes Flores Mujica zusammen mit Sebastian Varra, Darya Myasnikova und dem Sounddesigner Szymon Wójcik: Es ist die Zeit der Vacabose, der Zustand nach der Party. Das Setting ist ein leerer Raum mit über 20 im Kreis aufgestellten Lautsprechern, aus denen mitunter ganz verschiedene Sounds in den Raum quellen: Stimmen, Verkehrsgeräusche, venezolanische Schlager oder Dance-Beats. Im Zentrum stehen die drei Performer*innen und laden zur kollektiven Ausnüchterung. Das Publikum wird versetzt in die Position eines Taxifahrers, der komplett nüchtern auf die Reste eines rauschenden Festes schaut, von dem drei vollkommen erschöpfte und neben sich stehende Individuen einfach nicht lassen können. Aufgetakelt in Jeans mit Stoff-Applikationen, krud-wilden Hemden und im Falle von Flores Mujica mit Pasties, ziehen sie nochmal alle Register um das Fest, das keiner erlebt hat, zu verlängern.

Das Publikum geht kaum auf die zahlreichen Avancen ein, sitzt bald auf dem harten Boden, während die drei sich bewusst derangiert abmühen. Hervorragend tragikomisch etwa, wenn Sebastian Varra und Darya Myasnikova sich verschanzt hinter einem Betonlächeln in einem komplett scheiternden Paartanz versuchen. Später zeigen sie dann zu „No me corra cantinero“, wie es richtig geht.

Ansonsten wird gekrochen und gesprungen, ambitionierte Gesten versucht, die dann im Nichts verenden. Die drei verknäulen sich zu Figuren und Ketten, immer wieder blitzt die Energie des Verzweifelten auf, um dann wieder komplett abzusacken. Das Licht wird immer dunkler, der rite de passage in den Alltag und vielleicht die Scham immer länger. Schließlich kriechen alle drei würgend über die Bühne. Minutenlang geht das in einer ebenso ekelhaften wie faszinierenden Performance. Das menschliche Umfallen in Zeitlupenoptik, die Kapitulation des Körpers kongenial ausbuchstabiert.

Und wenn dann alles am Ende ist, alles nur noch darauf wartet, dass die Türen aufgehen und das Tageslicht die Geister die Party-Nachhölle vertreibt, dann kommt es zur Wiederauferstehung mit frisch angelegten glitzernd klapperndem Klimperwams voller Chi-Chi. Alle zusammen entlassen sich in die Party. Hier können alle noch einmal zeigen, was sie draufhaben und selbst das bis dahin eher distanzierte Hamburger Publikum lässt sich mitreißen von den Latino Vibes.

„La Vacabose“ ist ein Experiment, ein Test des Aushaltens und Auslotens, ein mitreißender Ritt an der Absturzkante. Eine mitunter schmerzhafte, aber auch sehr gewinnende Performance.

Ein gelungener Arbeitsnachweis des K3, das mit dem diesjährigen Tanzhochdrei tatsächlich einer Vielfalt Raum gegeben hat, die man in dieser Bandbreite selten findet. Es waren drei spannende Positionen und von allen drei wünscht man sich, mehr zu sehen.

 

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