„Blake Works I“ von William Forsythe, Tanz: Ensemble

Beeindruckend divers

20 Jahre Staatsballett Berlin

Eine fast vierstündige Gala und ein ausführliches Ballettgespräch am Vormittag lassen Revue passieren. An den Abenden davor konnte man auch Christian Spucks „Messa da Requiem“ und Patrice Barts „Giselle“ sehen.

Berlin, 08/07/2024

Christian Spuck, dem aktuellen Intendanten des Staatsballetts Berlin, ist bei der Zusammenstellung der Jubiläumsgala ein guter Spagat zwischen Rückschau und Ausblick in die Zukunft gelungen. Er zeigte, wie wandlungsfähig und auf welch hohem Niveau das Ensemble aktuell ist.

Zu Beginn die Ballszene aus Spucks „Bovary“, das er zu Saisonbeginn für das Staatsballett kreiert hat. Eine gute Möglichkeit, das starke corps de ballet zu präsentieren. Gleich darauf ein Kontrast: „Aria“ von Douglas Lee mit Ksenia Ovsyanick und David Soares. Düster wirkt das spannende gut getanzte Duo mit vielen Verschlingungen. Etwas verloren dann der Ausschnitt aus Mauro Bigonzettis „Caravaggio“, das 2008 in der Ära Vladimir Malakhovs am Staatsballett zur Uraufführung gekommen ist.

Ein erster Höhepunkt dann der Schwarze-Schwan-Pas-de-deux mit Iana Salenko und Marian Walter. Da sitzt jeder Schritt, passt jede Geste und die beiden schaffen es, die Geschichte mit allen Emotionen in diesem kurzen Moment darzustellen. Für die Gala kreierte Christian Spuck „Beethoven“ zum 2. Satz des Konzerts für Klavier und Orchester Nr. 5. Sechs Tänzer*innen erkunden unterschiedliche Beziehungsformen. In einem längeren Ausschnitt aus „Blake Works I“ konnten Michelle Willems und Jan Casier sowie das Ensemble reüssieren. Das komplette Stück ist auch in der kommenden Saison in einem eigenen Forsythe-Abend wieder zu sehen und sehr empfehlenswert.

Pflicht und Kür

Die junge australische Choreografin Samantha Lynch, Erste Solistin beim Norwegischen Nationalballett, kreierte „Come Back“ 2022 für das Juniorballett Zürich. Fünf Tänzer*innen treffen scheinbar zufällig an einer Holzbank zusammen. Sie umkreisen diese, liegen unter ihr, tanzen auf und mit ihr. Von Lynch möchte man gerne in Zukunft mehr sehen.

Nach der Pause dann ein knapp achtminütiger stimmungsvoller Film, der an unzählige Momente der letzten 20 Jahre erinnert. Vladislav Marinov, ehemaliger Tänzer am Staatsballett, ist es gelungen, die sekundenkurzen Ausschnitte choreografisch zum 3. Satz von Max Bruchs Violinkonzert Nr. 1 abzustimmen. Beim darauffolgenden „Grand Pas Classique“ von Haruka Sassa, ab der kommenden Saison Erste Solotänzerin, und Martin ten Kortenaar wurde die Pflicht erfüllt, die dafür notwendige Kür fehlte allerdings. Das 2019 entstandene „Nocturne“ bildete danach wieder einen guten Kontrapunkt. Fast traumverloren wirken Leroy Mokgatle und Jan Casier in der Choreografie von Christian Spuck, die sehr verdichtet seine Handschrift zeigt.

Auch wenn es löblich ist, jungen Tänzer*innen eine Chance an einem solchen Abend zu geben, so konnten leider die Demi-Solotänzer*innen Vera Segova und Kalle Wigle im „Weißen-Schwan-Adagio“ nicht überzeugen. Aber das corps de ballet beeindruckte mit Symmetrie, Synchronität und Präzision. Ein Wiedersehen gab es dann mit Dinu Tamazlacaru im unterhaltsamen „Les Bourgeois“ von Ben can Cauwenbergh. Im darauffolgenden „Tschaikowsky-Pas-de-deux“ von George Balanchine konnte Iana Salenko ein zweites Mal an diesem Abend reüssieren, Murilo de Oliveira wirkte allerdings unsicher.

Auch ein Abschied

William Forsythe, der in dieser Saison ausführlich mit dem Ensemble gearbeitet hat, hinterließ auch Eindruck bei Polina Semionova. Sie wünschte sich daher einen Ausschnitt aus „In the Middle, Somewhat Elevated“ zu tanzen – leider geriet dieser sehr kurz, aber war durchaus beeindruckend. Unterhaltsam dann „Skew-Whiff“ von Sol León und Paul Lightfoot, der auch mit den vier Tänzer*innen probte. Am Ende dann auch ein Abschied: Die mexikanische Erste Solotänzerin Elisa Carrillo Cabrera verabschiedete sich mit Marco Goeckes beindruckendem „Tué“ vom Berliner Publikum. Sie wird in Zukunft freischaffend arbeiten und noch mehr den Tanz in Mexiko fördern.

Zurückschauend kann man sagen, dass Christian Spuck der Einstand gut gelungen ist. Spannende Uraufführungen prägten seine erste Saison, aber auch die Klassikerpflege kam nicht zu kurz. In Patrice Barts „Giselle“ am 5. Juli 2024 konnten Ksenia Ovsyanick und David Soares in den Titelpartien glänzen. An ihrer Seite technisch stark und präzise Aurora Dickie und ein etwas übermütiger Giovanni Princic, der sein Rollendebüt als Hilarion gab. Schön zu sehen, dass bei der Einstudierung viel Wert auf die Pantomime gelegt und so die Geschichte wirklich auch erzählt wurde. Das corps de ballet beeindruckte mit Synchronität, allerdings würde manchen Tänzer*innen etwas weniger Lässigkeit gut tun. Aber vielleicht ist es auch diese Lässigkeit gewesen, die das Stück heutig wirken ließ.

Traditionspflege

Ein grandioser Abend auch Spucks „Messa da Requiem“ am 6. Juli 2024. Hier zeigte sich das Ensemble von einer anderen Seite und bewies somit große Wandlungsfähigkeit. Auch hier beeindruckte unter anderem wieder Ksenia Ovsyanick. Schade, dass die Erste Solotänzerin das Staatsballett Berlin verlässt. Dem Vernehmen nach, weil in der kommenden Saison von den Klassikern nur „Schwanensee“ und „Giselle“ auf dem Spielplan stehen. Es bleibt zu hoffen, dass das Staatsballett trotzdem das hohe Niveau bei den Klassikern beibehalten kann. Leider hat man in den letzten Jahren beim Wiener Staatsballett gesehen, wie rasch es zu einem Niveauverlust kommen kann, wenn das Klassische Ballett einen zu geringen Stellenwert im Ballettsaal und auf der Bühne hat. Beim Ballettgespräch erweckte Christian Spuck allerdings den Eindruck, dass ihm auch die Klassikerpflege ein Anliegen ist. Man darf auf die nächsten Saisons gespannt sein.

 

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