Faszinierendes Geben und Nehmen

John Crankos „Onegin“ beim Royal Ballet

London, 22/11/2001

Nachdem John Crankos Puschkin-Ballett in den achtziger Jahren bereits beim English National Ballet zu sehen war, hatte „Onegin“ im November beim Royal Ballet Premiere. Der Stuttgarter Ballettdirektor Reid Anderson studierte die Produktion gemeinsam mit Jane Bourne sorgfältig und detailgenau ein; er war auch für die Auswahl der Besetzung verantwortlich. Jürgen Roses Bühnenbild gab es als leicht ausgeblichene Leihgabe vom Hamburger Ballett.

Die Protagonisten der Premiere waren die Spanierin Tamara Rojo und Adam Cooper, der in Matthew Bournes Männer-„Swan Lake“ berühmt geworden ist und das Royal Ballet vor einigen Jahren verlassen hat. Zwischen beiden herrscht wenig Chemie, vor allem, weil Cooper trotz seiner kräftigen Statur ein schlechter Partner ist. Wo Rojo eher klassisch zurückhaltend tanzt und ihre Tatjana glatt und harmlos bleibt, da schert sich Cooper mit seiner müden Technik wenig um tänzerische Eleganz, sondern macht aus Onegin einen außergewöhnlich dunklen, zynischen Charakter. Sein maliziöses Lächeln und das aggressive Brodeln unter seiner Oberfläche lösen sich erst im wahrhaft faszinierenden Schluss-Pas-de-deux auf, wo Onegin für kurze, trunkene Momente in Tatjana das Glück erkennt, das er bei sich selbst nie gefunden hat.

Als Lenski gewinnt Ethan Stiefel vom American Ballet Theatre trotz idealer tänzerischer Linie nur als Liebender, nicht als Poet Format – dabei würde ihm seine Olga das Schwärmen so leicht machen: Alina Cojocaru, der Shooting Star des Royal Ballet, ist eine kleine, schmale Tänzerin von wunderbarer Leichtigkeit. Als reine, mädchenhaft aufrichtige Tatjana dominiert Cojocaru die zweite Besetzung, beherrscht als eine geborene Cranko-Tänzerin mit ihren neunzehn Jahren die Bühne bereits wie die großen, älteren Ballerinen, für die diese Rolle eigentlich gemacht schien.

Was ihr Onegin Johan Kobborg an Charisma und persönlicher Ausstrahlung nicht mitbringt, das hat er sorgfältig in seine kluge Interpretation eingefügt. Dass der elegante, aber nicht sehr große Däne letztlich um die entscheidende Nuance zu blass bleibt, mag an seinen durchweg kontrollierten Reaktionen liegen – Kobborg zeigt am Schluss zu wenig Emotion. Der bestechend sauber tanzende Johan Persson stattet Lenski mit einem viel zu breiten Dauerlächeln aus. Leicht und fein, mit der stürmischen Hingerissenheit der Jugend, interpretiert die junge Engländerin Gemma Bond die Olga.

Bei seinem Rollendebüt vor zwei Jahren hatte Stuttgarts Startänzer Robert Tewsley nicht nur mit den Hebungen, sondern vor allem mit Onegins vielschichtigem Charakter gehadert. Als Gast in London wirkt seine Gestaltung wesentlich ausgeglichener, er partnert nun auch absolut zuverlässig. Sein Tanz ist exquisit, doch Tewsleys Onegin wirkt innerlich zu schön – er hat keine dunklen Geheimnisse und Zweifel, kennt im letzten Akt nur einen Gesichtsausdruck: leidend. Als seine Tatjana beeindruckt die Italienerin Mara Galeazzi mit ihrer ernsten, verschlossenen Rollengestaltung; im Gremin-Pas-de-deux etwa lässt sie als einzige eine gewisse Distanz zwischen Tatjana und ihrem Mann erkennen.

Selbst wenn es in London nur wenige wirklich herausragende Rollenporträts gab: Auch nach so vielen Jahren fasziniert das Geben und Nehmen zwischen Crankos Meisterwerk und seinen Interpreten noch immer.

Kommentare

Noch keine Beiträge