Zwei neue Besetzungen für „Edward II.“
Erfolgreiche Rechtfertigungsversuche
Das Stuttgarter Ballett hat mit der Wiederaufnahme des in jeder Hinsicht monumentalen Handlungsballetts „Edward II.“ von David Bintley zum Saisonende ein gewaltiges Stück Arbeit geschultert. Schließlich war nicht nur die Premiere selbst zu bewältigen, sondern auch noch bis einschließlich 24. Juli acht Aufführungen an sieben Tagen. Überdies wurden sämtliche Haupt- und die meisten der vielen Nebenrollen in drei unterschiedlichen Besetzungen präsentiert. Eine von Außenstehenden kaum hinreichend zu würdigende körperliche und vor allem auch mentale Leistung. So künstlerisch fragwürdig das Werk selbst auch sein mag – das Anschauen und miteinander Vergleichen dieser drei Besetzungen gehört zum Spannendsten, was in dieser Saison in Stuttgart in Sachen Ballett zu erleben war.
Ob beabsichtigt oder glücklicher Zufall: Jedes der drei Teams hat zu einer individuellen und in sich geschlossenen Interpretation gefunden. Den Tänzern diesen künstlerischen Freiraum gestattet, ihn womöglich sogar gefördert zu haben, ist ein großes Verdienst Bintleys. Während die Premiere von den etablierten Solisten Roland Vogel (Edward), Sue Jin Kang (Isabella), Ivan Gil Ortega (Gaveston) und Robert Conn (Mortimer) getanzt wurde, durfte in den Folgevorstellungen vor allem die junge Generation antreten, also jene Tänzer, die Ballettintendant Reid Anderson von der kommenden Spielzeit an befördert und damit für größere Aufgaben vorgesehen hat.
Zwar konnten diese Jungen der dramatischen Intensität und darstellerischen Farbigkeit ihrer erfahrenen Kollegen noch nicht Paroli bieten, hatten aber durchaus Eigenes in petto. Friedemann Vogel als Edward und Jason Reilly als sein Geliebter Gaveston verlegen das Stück gewissermaßen in die frühe Jugend ihrer Figuren. Sie erleben mit geradezu kindlicher Freude das aufregende Spiel des Erwachens ihrer Sexualität, sind sich nicht im Mindesten dessen bewusst, was sie damit in der Gesellschaft anrichten, ihnen ist die Welt ein Lunapark voller Attraktionen, deren wichtigste wohl kaum die Erotik ist, sondern das Entdecken ihrer Freundschaft.
Alicia Amatriain als Isabella, auch sie noch ein halbes Kind und für nichts weniger reif als für die Ehe, fühlt sich vor allem von Gaveston bedroht, der ihr den lieben Spielgefährten raubt. Dass sie darüber ein wenig zu sehr in Rage gerät, ist beider, Isabellas und Amatriains, Jugend zugute zu halten. Und wenn es am Ende ans Martern und Sterben geht, dann bleibt diesen Menschen nur die geistige und körperliche Erschöpfung, die ihnen kaum noch Kraft lassen, dies als Wirklichkeit wahrzunehmen.
Die dritten Besetzung mit Douglas Lee als Edward und Filip Barankiewicz als Gaveston vertritt sozusagen die sportive Seite dieser Personen. Sie stürzen sich Hals über Kopf in ihr Abenteuer, jede Störung dessen ist nicht mehr als ärgerlich und wird mit Gewalt beiseite geräumt. Und dass Bridget Breiner (Isabella) wie eine Ballerina, die brutal aus ihren schönsten Tanzträumen gerissen wird, sich völlig entgeistert in diesen Wirbel der Gefühle einmischt, steigert beider Wut ins Unermessliche. Ihr kämpferischer Pas de trois gerät denn auch zum dramatischen und tänzerischen Höhepunkt des Abends.
Jiri Jelinek ist in diesen beiden Besetzungen Mortimer. Während Conn den bösen Landbaron gibt, ist Jelinek die städtische Ausgabe, aus gutem Hause, mit exzellenten Manieren, ein Gourmet des Perfiden. Eine bemerkenswerte Leistung dieses jungen Corpstänzers.
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