Zwei neue Besetzungen für „Edward II.“
Ein Lunapark voller Attraktionen
Wenn David Bintley die schwarzledernen Zottel-Barone an König Edwards Hof in rotes Schummerlicht taucht, dann könnte auch die „Rocky Horror Show“ draus werden. Mit einem bedeutungsschwanger herumharkenden Sensenmann, mit der überdeutlich provokativen Schausteller-Truppe oder dem knallbunten Geschreite am französischen Hof siegt in dem sieben Jahre alten Handlungsballett allzu oft das Dekor über die dramatische Notwendigkeit. Nur in den intimeren Szenen dazwischen lassen sich Bintleys choreografische Qualitäten erkennen, nur hier ist hin und wieder Platz für die feinen Nuancen.
Nach seinem Bruder Roland war Friedemann Vogel der zweite Edward und nutzte die Chance dieser wechselhaften Figur, um mit bewundernswerter Willenskraft das Image des Baby-Ballerino endgültig abzustreifen; nur an seiner Leidensmiene muss er vielleicht noch arbeiten. Als sein nur wenig zwielichtiger Liebhaber Gaveston trägt Jason Reilly zu oft das freundliche Allerwelts-Lächeln vor sich her. Ihm scheint weniger die tänzerische Umsetzung von Gefühlen als vielmehr das passende Mienenspiel Probleme zu bereiten. Beide tanzen auf sehr hohem technischen Niveau und mit schöner Phrasierung, ergänzen sich ideal in der weit ausholenden, befreiten Lyrik ihrer Pas de deux.
Alicia Amatriain dagegen, die ihre Rolle gleich von Beginn an mit dem verzweifelten Pathos einer Stummfilm-Diva anlegt, ist als Königin Isabella mit ihrem Kriegs-Solo im zweiten Akt noch deutlich überfordert. Dafür macht Jiri Jelinek aus dem Bilderbuch-Bösewicht Mortimer einen Gegenspieler von bedrohlichem Format und empfiehlt sich mit einer intensiven, beherrschenden Präsenz als nächster Aufstiegskandidat.
Wenn dieser Abend, weit eher als die Premierenbesetzung, die Wiederaufnahme von „Edward II.“ rechtfertigte, dann als Lehrstück für Reid Andersons junge Solisten, die durch die intensive Arbeit an ihren Rollen ganz erheblich an Ausdrucksvermögen gewonnen haben. Aber es kam noch besser: Stuttgart hat Tänzer, die es schaffen, diesem auf hohem Niveau verunglückten Ballett eine echte Daseinsberechtigung zu verleihen. Nur als das Psychodrama, zu dem Douglas Lee, Bridget Breiner und Filip Barankiewicz Bintleys Historiengemälde machen, bekommt die chronologisch heruntererzählte Handlung eine tiefere Bedeutung und genügend berührende Momente, kurz: eine innere Spannung.
Plötzlich gibt es Aggressionen und Reaktionen, die sich nicht nur aus dem historischen Ränkespiel, sondern aus den vielschichtigen Charakteren selbst erklären, mit einem Mal entsteht eine erotische Spannung zwischen Edward und Gaveston, endlich steht die Königswürde als ein zentrales Thema greifbar im Raum. Weit entfernt von schönem Tanz wird der Pas de trois zwischen Edward, Isabella und Gaveston zu einem erbitterten Kampf der verletzten Gefühle, in Edwards Fall auch zum Kampf mit sich selbst: Als gequälter König reiht sich Douglas Lee hier nahtlos in die Stuttgarter Tradition großer dramatischer Tänzer ein. Filip Barankiewicz bringt durch seine wilde Sprungkraft ein anarchisches, ungezügeltes Element in die Rolle des Gaveston und macht so die Verlockung durch den lebensgierigen Liebhaber gleichzeitig zu einer Fluchtmöglichkeit für den seelenwunden König.
An Bridget Breiners Königin Isabella fasziniert die Veränderung ihrer Körpersprache von ratloser Verzweiflung zu den harten, abgeklärten Gesten einer Wut, die bei ihr fast noch extremer ist als bei Sue Jin Kang. Aber selbst dieser grandiosen Besetzung gelingt es nicht, die Schwächen des zweiten Aktes zu überdecken, der gegen Ende nur noch langwierig und zäh wirkt, vor allem die choreografisch einfallslose Szene zwischen dem Henker Lightborn und dem todgeweihten Edward. Was hätten ein Béjart oder ein Neumeier aus der Konfrontation mit diesem unheimlichen Todesengel gemacht!
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